Bundeswehr rüstet sich für Heimatschutz

“Wir müssen bereit sein, unsere Werte – die Freiheit, Sicherheit, Demokratie -auch mit militärischen Mitteln zu verteidigen.” Dieser Satz ist so oder ähnlich seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar schon oft zu hören gewesen. Auch aus dem Mund von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, als sie am Montag zu Soldatinnen und Soldaten in der Berliner Julius-Leber-Kaserne spricht.

Dieses Mal ist der Anlass ihrer Rede ein militärisches Zeremoniell für das Territoriale Führungskommando: ein sogenannter Aufstellungsappell. Diese neue Einheit wird am 1. Oktober offiziell ihre Arbeit aufnehmen und die bislang dezentral aufgestellten Kräfte an einem Ort bündeln: in der deutschen Hauptstadt. Wichtigster Auftrag ist der Heimatschutz.

Immer wieder ist von der “Zeitenwende” die Rede

“Wir verbessern damit die Landes- und Bündnisverteidigung Deutschlands”, sagt die Verteidigungsministerin in Abwesenheit des positiv auf Corona getesteten Bundeskanzlers Olaf Scholz. Der deutsche Regierungschef hat für den Paradigmenwechsel in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik das Wort “Zeitenwende” gewählt.

Scholz will Bundeswehr besser ausrüsten

Diese Vokabel verwendet Christine Lambrecht immer wieder. Ihren Parteifreund Olaf Scholz bezeichnet sie als “Spiritus Rector der Zeitenwende”, also als Initiator der neuen Wertschätzung für die Bundeswehr. Finanziell schlägt sich der militärische Kurswechsel in 100 Milliarden Euro zusätzlich nieder. Damit soll die Truppe auf allen Ebenen besser ausgestattet werden, vor allem mit modernen Waffen, die auch einsatzbereit sind. Daran hapert es nämlich schon seit vielen Jahren.

Christine Lambrecht verspricht “Führung aus einer Hand”

Neben der technischen Aufrüstung sollen organisatorische Veränderungen die Schlagkraft erhöhen. Aber: “Die Veränderungen müssen auch in den Strukturen der Bundeswehr ankommen”, sagt Christine Lambrecht. “Führung aus einer Hand”, lautet ihre Maxime. “Mit kurzen Wegen zur Bundesregierung”, betont die Oberbefehlshaberin der Bundeswehr in Friedenszeiten. Im Kriegsfall ginge die Befehlsgewalt auf den Bundeskanzler über. So ist es im Grundgesetz, der deutschen Verfassung, verankert.

Das Territoriale Führungskommando für das Inland mit Sitz in Berlin ist das Pendant zum Einsatzführungskommando in Potsdam, das seit 2001 für die Auslandseinsätze der Bundeswehr zuständig ist. Die neu geschaffene Einheit soll künftig von einem Ort aus das koordinieren, was bislang über ganz Deutschland verteilt war: Heimatschutz, Katastrophenhilfe bei Hochwasser oder Waldbränden, Truppen- und Waffentransporte bei militärischen Übungen mit Partnern innerhalb der Europäischen Union (EU) oder des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses (Nato).

Bundeswehreinsätze im Inland: Hochwasser, Flüchtlinge, Corona

Christine Lambrecht lobt die schon lange unter anderen organisatorischen Vorzeichen geleistete Hilfe der Bundeswehr im Inland. Sie erinnert an den Einsatz beim Elbe-Hochwasser 2013, die Unterstützung für hunderttausende zwischen 2015 und 2018 nach Deutschland gekommene Flüchtlinge oder die Flut-Katastrophe im Ahrtal 2021. “Am prägendsten war aber sicherlich der 2020 beginnende und bisher größte und längste Einsatz während der Corona-Pandemie”, betont die Verteidigungsministerin.

Ein uniformierter Bundeswehr-Soldat telefoniert sitzend an einem Schreibtisch mit zwei Computer-Bildschirmen.

Bundeswehrsoldaten unterstützten zur Hochzeit der Corona-Pandemie Gesundheitsämter

Bis zu 25.000 Frauen und Männer hätten geholfen, das gefährliche Virus einzudämmen. “Sie haben geimpft, Kontakte nachverfolgt, Testabstriche abgenommen.” Allein bei diesem Einsatz seien rund 11.000 Anträge auf Amtshilfe an die Bundeswehr gestellt worden, sagt Christine Lambrecht. “Eine immense Leistung, auf die die Bundeswehr stolz sein kann und für die die Menschen in unserem Land zurecht dankbar sind.”  

Der Kommandeur kennt sich im Kanzleramt gut aus

Erster Kommandeur des nun eingerichteten Territorialen Führungskommandos ist Carsten Breuer. Bis Mai 2022 leitete er den inzwischen aufgelösten Corona-Krisenstab im Bundeskanzleramt. In seiner neuen Funktion will der 57-Jährige die Widerstandfähigkeit Deutschlands in allen vorstellbaren Krisenfällen stärken. Dazu zählt die klassische Landesverteidigung.

Bundeskanzler Olaf Scholz (r.) im grauen Jackett unterhält sich mit dem uniformierten Generalleutnant Carsten Breuer; im Hintergrund ist ein Panzer zu sehen

Bundeskanzler Olaf Scholz (r.) und Generalleutnant Carsten Breuer kennen sich gut aus ihrer Zeit im Corona-Krisenstab

“Egal was ein potenzieller Gegner auf deutschem Territorium mit uns vorhätte – wir müssen dem etwas entgegensetzen können”, sagte Carsten Breuer schon im Juli 2022 dem Magazin “Der Spiegel”. Während des Kalten Krieges habe man die Strukturen dafür gehabt und sei dafür ausgebildet gewesen. Dann sei die Wiedervereinigung Deutschlands gekommen und man habe gedacht, nur noch von Freunden umgeben zu sein.

Die Annexion der Krim war eine Zäsur

Allerspätestens seit der Annexion der ukrainischen Krim 2014 durch Russland “wissen wir, dass dies ein Irrtum war”, erinnerte der Generalleutnant in dem Interview an die folgenschwere Fehleinschätzung der Politik. Die von Olaf Scholz ausgerufene militärische Zeitenwende in Deutschland fand allerdings erst acht Jahre später statt – nach dem russischen Überfall auf die ganze Ukraine.

Das neue Territoriale Führungskommando spielt dabei nach den Vorstellungen der Verteidigungsministerin eine besonders wichtige Rolle: “Wir stärken die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr”, fasst Christine Lambrecht die Aufgabe der neuen Einheit in einem Satz zusammen.