Goldener Löwe für “All the Beauty and the Bloodshed”

Einen Favoriten für den Goldenen Löwen hatte es dieses Jahr nicht gegeben. Dass ein Dokumentarfilm die höchste Auszeichnung von Venedig erhält, damit haben die meisten wohl erst recht nicht gerechnet. Doch die Jury der 79. Filmfestspiele von Venedig, der Julianne Moore vorstand, hat sich genau dafür entschieden und kürte “All the Beauty and the Bloodshed” (deutsch: “All die Schönheit und das Blutvergießen”) von Laura Poitras zum besten Film im Wettbewerb.  

Die Doku erzählt vom politischen und künstlerischen Schaffen der Fotografin Nan Goldin und ihrem Kampf gegen die Familie Sackler, die für die Vermarktung des abhängig machenden Medikaments Oxycontin und Kultursponsoring bekannt ist. Das Medikament spielte eine wichtige Rolle bei der Opioidkrise in den USA, der schon Hunderttausende zum Opfer gefallen sind. Goldin war selbst abhängig von dem Medikament und wurde mit intim wirkenden Fotografien berühmt, die Themen wie Sexualität, Krankheit, Begierde oder Gewalt behandeln. “Ich finde, es ist eine wunderschön erzählte Geschichte über eine Frau, die sich ausgegrenzt fühlte und es geschafft hat, daraus Kunst zu kreieren”, sagte Jury-Präsidentin Julianne Moore nach der Preisverleihung. Der Film erzähle “nicht nur ihre Geschichte, sondern auch die Geschichte der Opioidkrise in den USA. Wie eine Frau ihre Macht nutzt, um Veränderung zu bewirken.”

Eine Frau mit roten Locken und Brille steht im Bad; eine andere Frau steht im Hintergrund am Spiegel und macht etwas in ihrem Gesicht.

Szene aus “All the Beauty and the Bloodshed”

US-Filmemacherin Laura Poitras ist unter anderem für ihren oscarprämierten Film “Citizenfour” über Whistleblower Edward Snowden bekannt. Mit ihrem Triumph am Samstagabend in Venedig ist sie seit 1949 die siebte Frau, die den Goldenen Löwen gewinnt. Neben ihr traten vier weitere Regisseurinnen im Wettbewerb an; insgesamt konkurrierten 23 Beiträge. 

Den Großen Preis der Jury gewann die Französin Alice Diop mit “Saint Omer”. Diops Spielfilmdebüt erzählt von zwei Frauen, der schwangeren Schriftstellerin Rama (Kayije Kagame) und der jungen Frau Laurence Coly (Guslagie Malanda), die im nordfranzösischen Ort Saint-Omer wegen Mordes an ihrer 15 Monate alten Tochter angeklagt ist. Rama möchte einen Roman schreiben und anhand der Gerichtsverhandlung den Medea-Mythos aus der griechischen Mythologie ins Heute transportieren. Der Prozess arbeitet auf, wie die im Senegal streng erzogene Laurence in Europa Rassismus erleben musste und sich immer mehr abschottete.

Alice Diop hält lächelnd ihre Auszeichnung in die Kamera.

Zuvor drehte sie Dokumentarfilme: Mit ihrem Spielfilmdebüt gewann Alice Diop nun den Großen Preis der Jury

Der Film ist einer von mehreren außergewöhnlichen Frauengeschichten, die dieses Jahr in Venedig zu sehen waren. 

Der inhaftierte iranische Regisseur Jafar Panahi wurde für “No Bears” mit dem Spezialpreis der Jury geehrt. In dem Film, in dem er sich selbst spielt, hält sich der 62-Jährige seit kurzem in einem kleinen iranischen Dorf in Grenznähe auf, sein Land darf er wegen einer Ausreisesperre nicht verlassen. Aus der Ferne dreht er via Videoschalte gemeinsam mit einem Team in der Türkei einen Film über ein Paar, das den Iran verlassen will. Neben dieser Geschichte, die weiter erzählt wird, geht es auch um die Geschehnisse im Dorf, dessen Bewohner Panahi seit kurzem ist.

Jafar Panahi ist leicht in der Hocke und guckt durch eine kleine Kamera.

Jafar Panahi in “No Bears”

Über die Auszeichnung als beste Schauspielerin durfte sich die Australierin Cate Blanchett für ihre Leistung in “Tár” (Regie: Todd Field) freuen. Der Film handelt von Lydia Tár, der fiktiven ersten Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker. Diese hat alles erreicht, was man als Dirigentin schaffen kann und in der patriarchalen Klassikwelt eine spröde Kompromisslosigkeit entwickelt. Doch dann gerät ihr Leben wegen Missbrauchsvorwürfen aus dem Ruder. Blanchett brilliert in der Rolle einer Frau, die meist kühl wirkt. Die deutsche Schauspielerin Nina Hoss spielt ihre Partnerin. 

Colin Farrell wurde als bester Schauspieler in “The Banshees of Inisherin” von Martin McDonagh geehrt. Der 46-Jährige spielt in der schwarzen Komödie den Iren Pádraic, dessen bis dato bester Freund Colm plötzlich und ohne Grund beschließt, ihre Freundschaft zu beenden. Völlig irritiert versucht Pádraic, die Freundschaft wieder aufleben zu lassen, und akzeptiert das Nein seines ehemaligen Freundes nicht. Der greift daraufhin zu drastischen Mitteln. Martin McDonagh gewann mit seinem Film den Preis für das beste Drehbuch. 

79. Filmfestival von Venedig | The Banshees of Inisherin

Szene aus “The Banshees of Inisherin” mit Colin Farrell (l.) und Brendan Gleeson in der Rolle des “Colm”

Ebenfalls ausgezeichnet wurde “Bones and All”, ein Roadmovie, das kannibalistischen Grusel mit Teenie-Liebe mixt: Luca Guadagnino erhielt für seinen Streifen den Silbernen Löwen für die beste Regie; seine Hauptdarstellerin Taylor Russel wurde mit dem Marcello-Mastroianni-Preis als beste Jungdarstellerin geehrt.

Die 79. Filmfestspiele von Venedig sind mit der großen Preisverleihung am Samstagabend zu Ende gegangen. Neben den Filmfestspielen in Cannes und der Berlinale zählt das Filmfestival am Lido zu den drei bedeutendsten der Welt.

bb/wa (dpa, labiennale.org)