Ilkay Gündogan: “Viele Dinge passieren im Kopf”

Ilkay Gündogan ist pünktlich. In Badeschlappen erscheint der 32-jährige Nationalspieler um Punkt 12 Uhr zum Interview und setzt sich auf den bereitgestellten Stuhl. Es ist windig im Camp der Nationalmannschaft in Al-Shamal, die Sonne knallt, es ist rund 30 Grad Celsius heiß. Die meisten Räumlichkeiten dagegen werden auf rund 20 Grad runtergekühlt, was sich im Vergleich anfühlt als würde man einen Kühlschrank betreten. “Die Klimaanlagen belasten mich ein wenig”, sagt Gündogan. “Es ist eisig kalt.”

Eine Woche zuvor hatte der Offensivspieler noch für seinen Klub Manchester City in England gespielt. Wenig Zeit, um sich bei der  Weltmeisterschaft auf die neue Situation einzustellen. “Um ehrlich zu sein, sehe ich es nicht wirklich als Herausforderung an”, erklärt Gündogan im Gespräch mit der DW. “Wir sind alle Profis. Wir spielen alle auf höchstem Niveau. Die Anpassung ist immer ein sehr wichtiger Aspekt.” 

Gündogan: “2018 fehlte mir Selbstbewusstsein”

Für Gündogan ist das Turnier in Katar die zweite WM seiner Karriere. In Russland vor vier Jahren hatte er es unter dem damaligen Bundestrainer Joachim Löw zu gerade einmal 59 Minuten Einsatzzeit gebracht. “2018 war ich nicht wirklich jemand, der versucht hat, in die erste Elf zu kommen. Ich habe mich persönlich dort gesehen, aber ich habe dieses Gefühl nicht von der anderen Seite bekommen. Das hat automatisch zu einem Mangel an Selbstvertrauen geführt”, sagt Gündogan. “Ich sehe mich jetzt in einer anderen Situation, natürlich mit dem neuen Trainer, mit einer neuen Mannschaft und mit mir als einem der erfahrensten Spieler im Team.”

Ilkay Gündogan jubelt im Trikot von Manchester City

Seit 2016 ist Ilkay Gündogan bei Manchester City und mittlerweile sogar Kapitän des Teams von Pep Guardiola

Bei dem 32-Jährigen ist seit der enttäuschenden WM in Russland einiges passiert. Mit Manchester City wurde Gündogan unter Trainer Pep Guardiola viermal englischer Meister, war insgesamt fünfmal in den englischen Pokal-Wettbewerben erfolgreich und schaffte es 2021 ins Finale der Champions League, das Manchester knapp gegen den FC Chelsea verlor.

“Ich denke, dass viele Dinge, die für den Erfolg entscheidend sind, im Kopf passieren. Und diese Entwicklung habe ich bei mir in den vergangenen Jahren gesehen”, sagt Gündogan. “Aber ich sehe das nicht als selbstverständlich an. Es gibt immer noch harte Arbeit, die ich leisten muss. Und genau das tue ich, um die bestmögliche Version meiner selbst zu sein.”

DFB-Karriere stand vor dem Aus

Bei seiner womöglich letzten WM will der Offensivspieler nun eine wichtige Rolle im Team spielen. Dabei hatte Gündogan nach dem Ausscheiden bei der letzten Europameisterschaft sogar an einen Rücktritt aus der Nationalmannschaft gedacht. Doch der Trainerwechsel führte zu einem Umdenken. Er blieb, obwohl Gündogan auch unter Bundestrainer Hansi Flick nicht immer gesetzt ist. “Selbst wenn ich nicht auf dem Platz stehe, zeigt er mir, was er von mir hält. Aber das macht er nicht nur mit mir, sondern mit allen anderen Spielern auch. Ich glaube, das ist auch ein Grund, warum ihn alle Spieler schätzen.”

Beim Training im Base Camp der DFB-Elf im Norden von Doha hält sich Gündogan eher im Hintergrund. Dennoch ist er für viele, vor allem junge Spieler, Ansprechpartner und auch Vorbild, eine Rolle die ihm liegt. “Ich denke, es ist schön, eine Führungspersönlichkeit zu sein”, sagt er und erklärt, dass er nach seiner aktiven Karriere gerne im Fußballgeschäft bleiben möchte. “Ein Team zu leiten, Ideen zu haben und diese dann auf das Spielfeld und die Spieler zu übertragen und zu sehen, dass die Dinge tatsächlich funktionieren, ist wahrscheinlich etwas, das einen mit Stolz erfüllt. Ich sehe mich eines Tages vielleicht als Trainer oder Manager.”

DFB-Team nach Niederlage unter Druck

Doch vor seiner Trainer-Karriere steht die im Idealfall erfolgreiche Teilnahme bei dieser Wüsten-Weltmeisterschaft. Der erste Gegner war Japan. Ein Spiel, das die deutsche Mannschaft nicht verlieren durfte, um nicht gleich unter Druck zu geraten. “Bei nur drei Spielen in der Gruppenphase ist jedes Spiel entscheidend. Und das erste ist vielleicht sogar das wichtigste von allen”, hatte Gündogan im Vorfeld gesagt.

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Gündogan brachte sein Team gegen die Japaner zunächst per Foulelfmeter in Führung. Später scheiterte er mit einem Schuss am Pfosten. Die Niederlage seiner Mannschaft konnte er letztlich aber nicht verhindern. “Wie die Gegentore gefallen sind, das war viel zu einfach”, sagte er anschließend. “Vor allem das zweite – ich weiß nicht, ob jemals bei einer Weltmeisterschaft ein einfacheres Tor erzielt wurde. Das darf nicht passieren, wir sind bei einer WM. 

Gündogan: “Ich bin ein ganz normaler Mensch”

In wenigen Jahren wird der Nationalspieler seine Karriere beenden. Neben dem möglichen Trainerjob steht der 32-Jährige nun auch privat vor einer großen Herausforderung. “Es fühlt sich bereits so an, als würden sich die Dinge verändern, vor allem die Art und Weise, wie man über Dinge denkt, wie man sie sieht”, sagt Gündogan im DW-Interview. “Unser Baby ist noch nicht geboren, und man macht sich schon mehr Sorgen um die Zukunft. Ich weiß zwar, dass ich ein sehr privilegiertes Leben führe, aber letztendlich bin ich auch ein ganz normaler Mensch mit ganz normalen Gedanken und Ängsten, was die Zukunft angeht.” Nach wenigen Minuten ist das Gespräch schon wieder beendet. Gündogan bedankt sich und verschwindet wieder in den kühlschrank-ähnlichen Räumlichkeiten von Al-Shamal.

Dieser Text wurde am 23.11. aktualisiert.