Jemen: Keine klare Aussicht auf Ende des Krieges

Mindestens zehn tote Soldaten – das ist das Ergebnis erneuter Kämpfe im Jemen zwischen den aufständischen Huthis und Regierungstruppen in der Provinz Marib östlich der Haupstadt Sanaa, die am Mittwoch von Nachrichtenagenturen gemeldet wurden. Die Kämpfe brachen aus nur kurze Zeit, nachdem beide Seiten eine Annäherung erklärt hatten.

Man habe sich auf den Austausch von insgesamt rund 900 Gefangenen geeinigt, hatte der Vorsitzende des für den Austausch verantwortlichen Huthi-Komitees, Abdul-Kadir al-Murtada, erst am Montag bekannt gegeben.

Die Huthi-Rebellen kontrollieren weite Teile des Nordwestens Jemens einschließlich der Hauptstadt Sanaa. Der Einigung waren von den Vereinten Nationen beaufsichtigte Verhandlungen in Genf vorausgegangen.

Der Austausch – sofern es trotz des jüngsten Gewaltausbruchs dabei bleibt – soll laut gemeinsamer Vereinbarung in drei Wochen umgesetzt werden, danach sollen weitere Verhandlungen folgen. Dem Regierungs-Unterhändler Madschid Fadail zufolge sollen auch vier Journalisten freigelassen werden, die von den Huthis zum Tode verurteilt worden seien. Zudem sollen ranghohe Militärvertreter der Regierung freikommen, darunter ein früherer Verteidigungsminister.

Der Erfolg am Verhandlungstisch gehe auch auf die jüngste diplomatische Annäherung zwischen den Rivalen Saudi-Arabien und Iran zurück, deutete der UN-Vermittler Hans Grundberg an. “Der Jemen hat jetzt Rahmenbedingungen, in denen ernsthafte Schritte vorwärts möglich sind”, sagte der Diplomat in Genf.

Vor knapp zwei Wochen hatten Saudi-Arabien und Iran nach Vermittlung Chinas ihre Annäherung bekannt gegeben. Beiden Regionalmächten wird immer wieder vorgeworfen, im Jemen eine Art Stellvertreter-Krieg um Einfluss in der Region zu führen. Während Saudi-Arabien in dem 2014 ausgebrochenen Bürgerkrieg die jemenitische Regierung unterstützt, steht der Iran an der Seite der Huthis. 

Ein Huthi-Kämpfer auf einem Pick-Up

Alltägliche Gewalt: Huthi-Kämpfer auf einem Pick-Up

 

Experte: Krieg steht Saudi-Arabiens Wirtschaftsvision im Wege

Dass hochrangige Regierungsvertreter aus dem Iran und Saudi-Arabien nun eine Übereinkunft unterzeichneten, wird von vielen Beobachtern auch als potentielle Chance für ein Ende des Jemen-Kriegs interpretiert. Immerhin wollen sich die Außenminister beider Länder zeitnah treffen und verständigten sich darüber hinaus auf die Wiedereröffnung ihrer Botschaften im jeweils anderen anderen Land innerhalb von zwei Monaten.

Tatsächlich hätten beide Seiten, Saudi-Arabien ebenso wie Iran, Interesse an einer Beendigung des Krieges, sagt Simon Engelkes, Nahost-Experte der Konrad-Adenauer-Stiftung und Mitautor einer soeben erschienen Studie zur jüngsten Annäherung der beiden Länder. Der saudische Kronprinz Mohammad bin Salman wolle sein Land auf einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Modernisierungskurs setzen. Sowohl iranische oder Huthi-Angriffe auf das Königreich als auch der kostspielige, unpopuläre Krieg im Jemen selbst stünden dieser Vision im Weg.

Zugleich habe der Iran im Rahmen der chinesisch-vermittelten Vereinbarung zugestimmt, verdeckte Waffenlieferungen an die verbündeten Huthis im Jemen einzustellen, argumentiert Engelkes. “Dies beendet den Konflikt zwar nicht von heute auf morgen, aber die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen und direkter Gesprächskanäle auf höchster Ebene – Saudi-Arabiens König Salman hat bereits den iranischen Präsident Ebrahim Raisi zu einem Besuch eingeladen – eröffnet nach acht Jahren Krieg erstmals die Aussicht auf Frieden”, so Engelkes.

Ähnlich sieht es Cinzia Bianco, Golf-Expertin am Think Tank European Council on Foreign Relations. Tatsächlich könne der Krieg auf regionaler Ebene enden, sagt sie. Denkbar sei ein Ende der grenzüberschreitenden Angriffe auf saudisches Territorium als Antwort auf das Ende der saudischen Bombenangriffe auf den Jemen.” Auch könnte Saudi-Arabien bereit sein, die Huthis als politischen Akteur für die Zukunft des Jemen zu akzeptieren. Allerdings: “Alle diese möglichen Entwicklungen haben nichts mit der lokalen Dynamik im Jemen selbst zu tun. Es ist darum nicht auszuschließen, dass es auch nach der Unterzeichnung des saudischen Huthi-Deals zu weiteren Kämpfen zwischen lokalen Gruppen kommen wird.” Tatsächlich ist genau dies geschehen.

Infografik Karte Jemen DE

Zwar seien auch die lokalen Akteure – die Huthis und die Regierung – grundsätzlich an einem Friedensschluss interessiert, sagt Cinzia Bianco. Offen sei aber, ob vor allem die Huthis mit ihrem derzeitigen Machtbereich zufrieden seien. Absehbar könnten sie versuchen, weitere Regionen zu erobern, so etwa die Region Marib im Norden oder Shabwah im Süden des Landes. Beide Regionen verfügen über Erdölvorkommen. Auch andere Gruppen könnten versuchen, ihren Machtbereich zu sichern. So sei es zwar denkbar, dass sich Iran und Saudi-Arabien aus dem Krieg im Jemen zurückzögen. “Aber es gibt immer noch die lokale Ebene im Jemen selbst. Und für deren Entwicklung gibt es keine Garantien.” 

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Menschen hoffen auf Frieden

Dennoch setzen viele Menschen im Jemen große Hoffnungen auf die zwischen Saudi-Arabien und Iran erzielte Einigung. Najat Muhammad etwa. Die Mittdreißigerin sammelt seit vier Jahren ausrangierte Wasserflaschen, mit deren Verkauf sie ihre vier Kinder ernährt. Ihr Ehemann hatte sich Anfang 2015 den Regierungstruppen angeschlossen, geriet 2018 aber in Gefangenschaft der Huthis.

“Bei jedem Gefangenenaustausch hoffe ich, dass er zu mir und den Kindern zurückkehrt. Als er verschwand, war ich mit meiner jüngsten Tochter schwanger. Er weiß nicht einmal, wie sie aussieht”, sagt sie der DW. Ob er infolge des in Genf ausgehandelten Gefangenenaustauschs freigelassen wird, weiß sie nicht. Sie hoffe darauf, sagt sie.

Auch die Familie von Mutahar hofft auf die Rückkehr ihres Sohnes. Seit drei Jahren hat sie keine Information über seinen Aufenthaltsort. Der 28-Jährige hatte sich den Huthis angeschlossen, geriet dann aber in Kriegsgefangenschaft. Die Familie hoffe nun, dass sie ihn bald endlich wieder in ihre Arme schließen könne, sagt seine Schwester im Gespräch mit der DW.

Redaktionelle Mitarbeit: Safia Mahdi, Sanaa

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