Meinung: FC Bayern lässt die Maske fallen

So also sieht ein “Langzeitprojekt” des FC Bayern aus. Nach genau 631 Tagen, sprich knapp 21 Monaten, trennen sich die Münchener von ihrem Trainer Julian Nagelsmann. Im Sommer 2021 hatten sie noch den Eindruck erweckt, als wollten sie mit der Verpflichtung Nagelsmanns ein Zeichen gegen die Hire-and-Fire-Mentalität im Profifußball setzen. Mit einer im deutschen Fußball bis dahin für einen Trainer beispiellosen Ablösesumme von 25 Millionen Euro eisten sie Nagelsmann von RB Leipzig los und statteten ihn mit einem Fünf-Jahres-Vertrag aus. “Wir können mit Julian eine Ära prägen”, verkündete Vorstandschef Oliver Kahn bei der Präsentation des neuen Trainers im Juli 2021, Sportdirektor Hasan Salihamidzic nannte die Vertragslaufzeit ein “Statement”.

Sollte hier tatsächlich ein junger Trainer eine echte Chance erhalten, etwas Großes aufzubauen? Mit der vollen Rückendeckung der Vereinsbosse, auch wenn es auf dem Weg zum Ziel Rückschläge geben sollte? Selbst Nagelsmann schien nicht so recht daran zu glauben. Schon im Oktober 2021, wenige Monate nach Beginn seiner Arbeit beim FC Bayern, antwortete der Trainer im Podcast der Fußball-Brüder Toni und Felix Kroos auf die Frage, ob er glaube, dass er seinen Vertrag erfüllen werde: “Die Geschichte zeigt, dass es fast unmöglich ist bei Bayern – so lange.”

Warum jetzt?

Dass der 35-Jährige seinen “Traumjob” aber gerade jetzt verliert, dürfte wohl auch ihn selbst überrascht haben. Nach einer für Bayern-Verhältnisse eher mageren ersten Saison unter Nagelsmann mit dem deutschen Meistertitel als einzigem Ertrag tanzt der Klub in der laufenden Spielzeit noch auf drei Hochzeiten. Das Triple aus Meisterschaft, DFB-Pokalsieg und Triumph in der Champions League, das zuletzt Nagelsmanns Vorgänger Hansi Flick 2020 gelang, ist also möglich. So schlecht kann es Nagelsmann nicht gemacht haben, bedenkt man, dass die Bayern im Viertelfinale der Champions League immerhin den französischen Topklub Paris St. Germain mit Superstars wie Lionel Messi und Kylian Mbappé aus dem Rennen warf. Und angeblich ist doch nach Aussage der Bayern-Bosse in erster Linie Europas Eliteklasse der Erfolgsmaßstab für Deutschlands chronisch besten Klub.

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Stefan Nestler, DW Sport

Warum wird Nagelsmann dann nach einer 1:2-Niederlage in Leverkusen entlassen? Die mag zwar genauso ärgerlich gewesen sein wie die 2:3-Niederlage einen Monat zuvor in Mönchengladbach. Aber dass die Bayern nun ernsthaft Gefahr liefen, ihre Vormachtstellung im deutschen Fußball zu verlieren, wird wohl kaum jemand annehmen.

FC Bayern handelt wie FC Chelsea

Der Verdacht liegt nahe, dass Nagelsmann und damit auch die von der Bayern-Führung vorgegaukelte Idee einer nachhaltigen Entwicklung unter einem jungen Trainer dem großen Namen seines Nachfolgers geopfert wurden. Schon vor fünf Jahren wollte der damalige Klubchef Karl-Heinz Rummenigge Thomas Tuchel an die Isar locken, tat es aber zu zögerlich, sodass Paris St. Germain das Rennen um den Ex-Trainer des BVB machte.

Niemand wird anzweifeln, dass Tuchel ein herausragender Coach ist. Schließlich gewann er mit dem FC Chelsea 2021 die Champions League und wurde in jenem Jahr auch von der FIFA zum besten Trainer der Welt gekürt. Fakt ist aber auch, dass seine letzten Engagements in Dortmund, Paris und London allesamt mit Misstönen endeten. Tuchel ist ein Trainer mit Ecken und Kanten – und er eckt häufig an. Es wird spannend sein zu beobachten, wie er sich im Alphatiere-Zoo FC Bayern zurechtfindet.

Tuchel erging es beim FC Chelsea übrigens ähnlich wie jetzt Nagelsmann beim FC Bayern. Seinen Job verlor er nach einer eher unbedeutenden 0:1-Niederlage gegen Dinamo Zagreb gleich am ersten Spieltag der Champions League. Ganz offensichtlich wollte ihn Chelsea einfach nur loswerden. Das gilt wohl auch für den FC Bayern im Fall Nagelsmann. Es spielt für den Verein keine Rolle, dass er 25 Millionen Ablöse in die Tonne geklopft hat und nun sicherlich eine hohe Abfindung wegen der Kündigung des Fünf-Jahres-Vertrags fällig wird. Der Klub aus München will glänzen, koste es, was es wolle. Die Maske eines vielleicht doch noch irgendwo bodenständigen Vereins hat der FC Bayern endgültig abgelegt.