Ruangrupa-Mitglieder dozieren in Hamburg

Die Entscheidung stand schon im Januar und damit vor dem Beginn der documenta fest: Reza Afisina und Iswanto Hartono, Mitglieder des indonesischen Künstler-Kollektivs Ruangrupa, haben am Mittwoch ihre Gastprofessuren an der Hochschule für bildende Künste (HFBK) in Hamburg angetreten. 

Ruangrupa kuratierte die diesjährige documenta. Bereits im Vorfeld der Weltkunstschau waren erste Stimmen laut geworden, wonach das Kollektiv Organisationen und Künstler einbinde, die den kulturellen Boykott Israels unterstützten oder antisemitisch seien.

Nicht absehbar war zu diesem Zeitpunkt, welche Wellen einige der später ausgestellten Werke schlagen würden: Bereits wenige Tage nach der Eröffnung der documenta 15 hatte das Banner “People’s Justice” des indonesischen Kollektivs Taring Padi, das antisemitische Ressentiments bediente, für einen Eklat gesorgt. Später wurde eine ausgestellte Broschüre als antisemitisch kritisiert. 

Keine endgültige Aufarbeitung

Für ihren Umgang mit den Vorwürfen erntete die Kuratoren-Gruppe, die sich zwischenzeitlich halbherzig entschuldigte, viel Kritik. Die Generaldirektorin der documenta, Sabine Schormann, trat im Juli von ihrem Amt zurück. Auch sie hatte zur Aufklärung der Vorwürfe wenig beigetragen, berief sich auf die Kunstfreiheit und blieb einer Sitzung im Kulturausschuss des Bundestags fern.

Entsprechend groß ist nun die Kritik an den Gastprofessuren. Die Jüdische Gemeinde in Hamburg schrieb von einer “Schande” für die Stadt, Hamburgs Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank sagte, die Gastprofessoren stünden in der Verantwortung, die Vorwürfe aufzuklären. Auch Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger forderte die Hochschule auf, “alle offenen Fragen” zu klären.

Volker Beck: Belohnung für Versäumnisse

Deutlich kritischer äußert sich der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck. “Diese beiden Personen haben bewiesen, dass sie nicht in der Lage oder willens sind, sich mit Antisemitismus kritisch auseinanderzusetzen”, sagt Beck im DW-Gespräch. Er wolle Kuratoren nicht vorwerfen, wenn antisemitische Bildsprache in einer Ausstellung auftauche, “entscheidend ist dann aber, wie man damit umgeht, wie man es einordnet oder ob man es depubliziert”.

Ruangrupa habe sich während der documenta entschieden, “die Vorwürfe wegzureden und zu verharmlosen oder einfach nichts zu machen”. Es gehe dabei nicht um einen übersensiblen Umgang mit der Thematik in Deutschland. “Insbesondere bei der Darstellung von Figuren mit SS-Runen, Schläfenlocken und Hakennasen handelt es sich um eine Rezeption und Reproduktion von europäischem Antisemitismus. Für den gibt es auch im asiatischen Raum keine Entschuldigung”, sagt Beck. “Sie werden für das, was sie versäumt haben, mit einer Professur belohnt.”

Mit Schildern protestieren zwei Männer gegen die Ernennung zweier Mitglieder des Ruangrupa-Kollektivs zu Gastprofessoren.

Antisemitismus zu Geld machen: Bei der Ernennung der Gastprofessoren kam es zu Protesten

Die Ernennung zu Gastprofessoren sieht Beck auch vor dem Hintergrund einer 2021 von mehreren Ruangrupa-Mitgliedern unterzeichneten “Letter against Apartheid” als Problem. Die Unterzeichner warfen dem Staat Israel darin vor, ein Apartheid-Regime gegen die Palästinenser zu führen, und riefen Regierungen dazu auf, neben Handels- und Wirtschaftsbeziehungen auch die kulturelle Zusammenarbeit aufzukündigen. “Wie kann eine Kunsthochschule eine Professur an Leute vergeben, die sich für Kunstboykotte und somit gegen die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit aussprechen?” Die Entscheidung stelle die freiheitlichen Grundlagen der Hochschule infrage, so Beck.

Hochschule will Dialog

An der Hochschule für bildende Künste hebt man dagegen die Chance auf einen konstruktiven Dialog hervor. “Die Haltung an der Kunsthochschule ist kritisch und nachdenklich”, sagt HFBK-Präsident Martin Köttering im DW-Gespräch. Das gelte für Themen wie Rassismus und Antisemitismus ebenso wie für identitätspolitische Fragen. Er habe die Professuren im Hochschulsenat angesprochen, so Köttering. “Es gab keine Diskussion darüber, von der Ernennung abzusehen.”

Ein Gemälde auf der documenta zeigt eine Figur mit spitzen großen Zähnen, SS-Aufschrift auf dem schwarzen Hut und mit Schläfenlocken.

SS-Runen und Schläfenlocken: Antisemitische Klischees auf der documenta

Die Hochschule sei ein Raum zum Streiten. “Selbstverständlich muss die Debatte um Antisemitismus geführt werden. Aus allen Bereichen wird signalisiert, dass wir die Diskussion führen wollen.” Wichtig sei dabei, nicht über die Ruangrupa-Mitglieder zu reden, sondern mit ihnen. Ein Schwerpunkt soll auf den künstlerischen Fragestellungen liegen. “Das bietet die Chance, Themen aufzugreifen, die nicht zu Ende diskutiert wurden”, sagt Martin Köttering.

Neue Debatte mit etwas Abstand?

Dass die Vorwürfe nicht ausdiskutiert wurden, findet auch Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank. Im Zuge der Eskalation hatte Mendel sein Engagement als Berater der documenta im Juli aufgekündigt. Antisemitismus sei in allen Teilen der Gesellschaft verbreitet, auch in linken, progressiven Milieus, sagt er nun im DW-Gespräch. “Trotzdem sind ein geschlossen antisemitisches Weltbild und manifester Judenhass als Teil einer umfassenden Ideologie heute vor allem am rechten Rand zu finden. Nicht jeder, der antisemitische Bildsprache reproduziert, vertritt eine verfestigte antisemitische Ideologie.”

Die Debatte, ob das Künstler-Kollektiv aus Antisemiten bestehe, sei nicht konstruktiv, meint Mendel. “Sie haben sicherlich blinde Flecken und man muss kritisieren, dass ihre Bereitschaft zur Auseinandersetzung sehr begrenzt war.” Ruangrupa habe sich zu sehr in einer Opferrolle verschanzt. Dennoch könne er nachvollziehen, dass die Kuratoren die Ausstellung hätten schützen wollen.

Meron Mendel lächelt einer Frau, deren Rücken man sieht, zu. Er hat ein Mikro am Kopf.

Meron Mendel beriet die documenta und sieht in den Gastprofessuren eine Chance

“Ich sehe mit den Professuren die Chance, mit etwas Abstand anders über die Themen zu diskutieren”, sagt Meron Mendel. Es bestehe nach dem Ende der documenta für die ehemaligen Kuratoren keine Gefahr mehr, dass sie Werke abhängen müssten: “Wenn ein offener Dialog möglich ist, kann das ein Ertrag nicht nur für die Hochschule sein, sondern ein gesamtgesellschaftlicher.”