Stürmerproblem? Dortmund gibt die Antwort im Kollektiv

Keine 36 Minuten waren gespielt, da rissen die BVB-Fans im ausverkauften Dortmunder Stadion bereits zum vierten Mal die Arme hoch. Der agile Donyell Malen, an diesem Abend für die Kölner Defensive ein ums andere Mal nicht zu stoppen, hatte gerade eben zum 4:0 für die Dortmunder getroffen. Durch den hochverdienten 6:1-Sieg gegen Köln übernimmt der BVB für mindestens eine Nacht die Tabellenführung vom Konkurrenten Bayern München und darf weiter vom ersten Meistertitel seit 2012 träumen.   

Immer wieder war in den letzten Wochen mit Blick auf den Titelkampf über die Dortmunder Stürmerproblematik gesprochen worden. Sturmtalent Youssoufa Moukoko ist seit Wochen verletzt, der vor der Saison verpflichtete und anschließend an Hodenkrebs erkrankte Sebastien Haller fehlte erst lange und hatte nach seiner Rückkehr bis vor dem Köln-Spiel erst einmal für den BVB getroffen, und der im vergangenen Sommer vom 1. FC Köln verpflichtete Anthony Modeste hat in Dortmund bislang nie zur Stärke vergangener Tage gefunden. 

Baumgart blutet das Herz wegen Modeste

In Dortmund spielt Modeste trotzdem kaum eine Rolle, was beim 1. FC Köln wohl anders wäre. “Er hat sich sportlich falsch entschieden. Aus sportlicher Sicht hätte er bei uns bleiben müssen, das wäre für alle das Beste gewesen”, sagte Steffen Baumgart vor dem Spiel zum Wechsel nach Dortmund von Anthony Modeste, der zu Beginn nur auf der Bank saß und dem in bislang 16 Bundesliga-Spielen für den BVB lediglich zwei Tore und eine Vorlage gelangen. Auf die Frage, ob ihm beim Anblick von Modeste auf der Bank das Herz blute, antwortete Baumgart: “Ja.” Modeste wurde in der 71. unter Pfiffen der Kölner Fans eingewechselt und blieb ohne Tor und nennenswerte Aktionen.

Der Kölner Trainer Steffen Baumgart während des Spiels bei Borussia Dortmund

Ratlos in Dortmund: Kölns Trainer Steffen Baumgart sah eine Offensiv-Demonstration des Gegners

Während sich die in der Rückrunde so offensivschwachen Kölner ihren alten Torjäger zurückwünschen, weil niemand ihn momentan ersetzen kann, besticht der Titelkandidat aus Dortmund mit offensiver Vielseitigkeit. Zunächst drückte der aktuell verletzte Julian Brandt der Dortmunder Offensive in der Rückrunde mit starken Leistungen und Toren seinen Stempel auf, jetzt spielen sich andere in den offensiven Vordergrund.

Schlüsselfigur Guerreiro, Doppelpacker Haller und Reus

Allen voran Raphael Guerreiro. Der Portugiese, der am vergangenen Wochenende im Revierderby gegen Schalke bereits erfolgreich war und zum zwischenzeitlichen 2:0 für die Dortmunder traf, machte auch gegen Köln den Anfang. Ein Zuspiel nach feiner Einzelleistung von Donyell Malen verwertete Guerreiro ebenso sehenswert wie ein echter Stürmer zur Dortmunder Führung (15.).

Anschießend bereitete Guerreiro das 2:0 durch Haller (17.) und das 3:0 durch Reus (32.) vor. Vor dem 2:0 hatte sich zunächst Mittelfeldmotor Jude Bellingham toll durchgesetzt, ehe zwei schnelle One-Touch-Pässe von Reus und Guerreiro die Kölner Abwehr aushebelten und Haller so frei stand, dass es für einen Stürmer seiner Klasse schwieriger gewesen wäre, den Ball nicht ins Tor zu schießen. 

Dortmunds Raphael Guerreiro bejubelt seinen Treffer zum 1:0 gegen den 1. FC Köln.

Starke Leistung: Raphael Guerreiro war an den ersten drei Toren gegen Köln direkt beteiligt

Beim 3:0 bediente Guerreiro Reus mit einem überlegten Ball in den Rücken der Kölner Abwehr und der in die Startelf zurückgekehrte BVB-Kapitän traf mit einem fantastischen Schlenzer ins lange Eck. Und die BVB-Offensive hatte noch lange nicht genug an diesem Abend: Malen traf noch vor der Pause zum 4:0 (36.), ehe ein Dortmunder Doppelschlag durch Haller (69.) und Reus (70.) nach Davie Selkes Treffer zum zwischenzeitlichen 1:4 aus Kölner Sicht (42.) den auch in der Höhe verdienten 6:1-Endstand herstellte. 

“Es war ein verdienter Sieg, wir haben sehr früh die Weichen gestellt für den Heimsieg”, sagte Marco Reus, der durch seinen 161. Treffer für den BVB zum alleinigen Bundesliga-Rekordtorschützen des achtfachen deutschen Meisters aufstieg. Der Schlüssel sei der permanente Druck auf die Kölner Außenverteidiger gewesen, sagte Reus, der betonte, seinen am Saisonende auslaufenden Vertrag verlängern zu wollen. “Ich würde meine Karriere gerne hier beenden”, sagte der BVB-Kapitän bei “Sky”. “Ich kann alle heute loben, alle haben ein tolles Spiel gemacht”, sagte Trainer Edin Terzic im Anschluss, wollte aber angesprochen auf Guerreiro, dessen Vertrag wie der von Reus am Saisonende ausläuft, nicht über “solche Dinge” sprechen. 

Köln taumelt Richtung Keller

Über die Dortmunder Fülle an gefährlichen Offensivkräften konnten die Gäste aus Köln an diesem Abend nur staunen. Glück hatte der BVB im ersten Durchgang allerdings bei einer strittigen Szene im eigenen Strafraum, wo Dahoud den Ball mit der Hand berührte. Der Elfmeterpfiff durch Schiedsrichter Siebert blieb jedoch aus, der Videoassistent griff nicht ein. “Vollgas nach vorne, wie immer”, sagte Kölns Trainer Steffen Baumgart vor dem Spiel zur Marschroute seines Teams. Man wolle “alles attackieren, was sich bewegt”, so Baumgart. “Und dann schauen wir mal, was dabei rumkommt.” 

Außer einigen Verlegenheitsabschlüssen und dem Treffer durch Selke kam allerdings herzlich wenig zusammen beim Team von Baumgart, das aufgrund der bislang katastrophalen Rückrunde immer weiter unten reinrutscht. “Wir brauchen nicht zählen, wie lange die Stürmer nicht treffen”, sagte Kölns Torschütze Davie Selke nach dem Spiel bei “Sky”. “Das geht mir auf den Sack.” Doch kümmerliche vier Tore in acht Rückrundenspielen, dabei sechs Mal ohne eigenes Tor und nur ein Sieg bedeuten für Köln nur noch sechs Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz. Die Frage, was an diesem Abend nicht funktionierte habe, beantwortete Steffen Baumgart kurz mit “alles”. 

Titelshowdown in München

Dortmunds Stürmer Sebastien Haller bejubelt seinen Treffer zum 5:1 gegen den 1. FC Köln.

Erster Doppelpack im Trikot von Borussia Dortmund: Stürmer Sebastien Haller

Der BVB hat sich rechtzeitig zum Showdown gegen die Bayern auf beeindruckende Weise in Form geschossen. Nach der Länderspielpause steigt am 1. April in München das möglicherweise vorentscheidende Spiel um den Titel. Über Stürmerprobleme wird in Dortmund bis dahin wohl keiner mehr sprechen. “Generell würde ich nicht sagen, dass es schon entscheidend ist”, sagte Reus bei “Sky” zum Gipfel in München. “Das ist noch zu früh.” 

Anderer Meinung war bereits vor dem Spiel Reus’ ehemaliger Teamkollege Kevin Großkreutz. “Ich glaube schon”, sagte der ehemalige BVB-Profi (2009 – 2015) bei “Sky” auf die Frage, ob das Duell in München die Vorentscheidung im Titelkampf bringen werde. Er erwarte in München “ein Feuerwerk” vom BVB, sagte der Weltmeister von 2014, der mit seinem Herzendklub aus Dortmund 2011 und 2012 Deutscher Meister wurde. Dass der BVB 2023 “Feuerwerk” kann, hat er in überzeugender Manier gegen überforderte Kölner gezeigt.