Syrien nach dem Erdbeben: Begrenzte Hilfe

14 Lastwagen mit Hilfsgütern überquerten an diesem Freitag den Grenzübergang Bab al-Hawa zwischen der Türkei und Syrien. Von dort fuhren die LKW der Vereinten Nationen (UN) weiter in Richtung Idlib, um den Menschen im syrischen Erdbebengebiet Decken, Matratzen, Zelte und Solarlampen zu bringen. Die Hilfe werde für etwa 1100 Familien ausreichen, sagte ein UN-Sprecher in Genf.

Doch in der Provinz Idlib im Nordwesten Syriens leben mehr als vier Millionen Menschen. Hunderttausende dürften vom Erdbeben direkt betroffen sein, das am 6. Februar den Süden der Türkei und den Norden Syriens erschütterte. Schon vor der Naturkatastrophe waren neun von zehn Menschen rund um Idlib auf Hilfe von außen angewiesen – seit 2011 herrscht Bürgerkrieg in Syrien. 

Es bräuchte also nicht 14 Lastwagen, sondern hunderte, um die größte Not der Menschen im Nordwesten Syriens zu lindern. “Was bislang ankommt, reicht nicht einmal annähernd”, sagt Kelly Petillo, Syrien-Expertin beim European Council on Foreign Relations (ECFR). 

UN-Resolution machte Hilfe möglich

Das Problem: Das Regime von Baschar al-Assad in Damaskus verhindert seit Jahren, dass Hilfe in den Nordwesten Syriens gelangt. Denn die Gegend um Idlib steht unter Kontrolle von Rebellen und Islamisten. 

Zerstörte Gebäude, im Hintergrund eine Stadt

Zerstörung in Sarmada im Nordwesten Syriens

“Seit 2014 gibt es zwar eine Resolution des UN-Sicherheitsrates, die Hilfe über die türkische Grenze hinweg ermöglicht – auch ohne die Zustimmung des Assad-Regimes”, erklärt Petillo im DW-Gespräch. “Doch seit 2018 hat Russland im UN-Sicherheitsrat, mit Unterstützung Chinas, dafür gesorgt, dass die Zahl der Grenzübergänge, die dafür genutzt werden können, immer weiter eingeschränkt wird.”

Mit Assad oder ohne Assad?

Bab al-Hawa ist nun der einzig verbliebene Grenzübergang, den die Vereinten Nationen für ihre Hilfe nutzen dürfen. Mit einer Resolution des UN-Sicherheitsrates könnten andere Übergänge geöffnet werden, damit mehr Hilfe fließen kann. Dass der russische Präsident und Assad-Verbündete Wladimir Putin sich darauf einlässt, hält Petillo jedoch für “leider nicht sehr wahrscheinlich”. Wie alle ständigen Mitglieder kann Russland jede Entscheidung des Welt-Sicherheitsrats blockieren.

Eine Alternative wäre es, so genannte Crossline-Hilfe zu leisten. Also Hilfe, die zunächst in die von Assad gehaltenen Gebiete geht und von dort ins Rebellengebiet gebracht werden soll. “Diese Art der Hilfe war bisher sehr erfolglos”, sagt Petillo. “Dennoch sollte man sie nicht ausschließen.” Die Türkei verhandele derzeit darüber, einen Grenzübergang zum von Assad kontrollierten Teil Nordsyriens für Crossline-Hilfe zu öffnen. “Aber es ist sehr unklar, wie weit die Verhandlungen wirklich sind.”

Porträt Kelly Petillo

“Es muss alles versucht werden”, sagt Kelly Petillo vom European Council on Foreign Relations

Im Gespräch mit DW-TV dämpft die Syrien-Expertin Bente Scheller von der Heinrich-Böll-Stiftung die Erwartungen an eine solche Lösung: “Es macht keinen Sinn, Sanktionen aufzuheben und darauf zu hoffen, dass die humanitäre Hilfe ankommt”, so Scheller. “Denn das hängt in erster Linie am politischen Willen des syrischen Regimes. Und bislang haben wir nicht erkennen können, dass das Regime am Schicksal seiner Bürger interessiert ist.”

Was also bleibt den Vereinten Nationen? Der Abwurf von Hilfsgütern aus der Luft sei denkbar, sagt Petillo vom ECFR. Und man könne darüber nachdenken, weitere Grenzübergänge von der Türkei nach Syrien zu nutzen, ohne eine entsprechende Resolution des UN-Sicherheitsrats abzuwarten. “Das wäre eine einseitige Maßnahme, und das macht die Dinge natürlich sehr kompliziert”, so Petillo. “Aber in Ermangelung von Alternativen und angesichts des Ausmaßes der Notlage muss alles versucht werden.”

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