Tunesiens Präsident will Gemeinderäte abschaffen

Demnächst werde er ein Gesetz zur “Auflösung aller Gemeinderäte und ihre Ersetzung durch Sonderdelegationen” prüfen, sagte Präsident Kais Saied in einem Video einer Kabinettssitzung, das im Internet veröffentlicht wurde.

Die Gemeinderäte gelten in Tunesien als wichtige Errungenschaft der 2011 aus dem “Arabischen Frühling” hervorgegangenen Demokratisierung des Landes. Saied hatte im vergangenen Jahr mit einer per Volksabstimmung bestätigten Verfassungsänderung bereits die Macht des nationalen Parlaments erheblich beschnitten.

Eigentlich stehen Neuwahlen an

Die Mandate von 350 Bürgermeistern und Gemeinderäten laufen Ende April ab. Danach müssten eigentlich Wahlen stattfinden. Bei den Kommunalwahlen im Jahr 2018 hatten unabhängige Listen die meisten Stimmen erhalten, gefolgt von der in Gegnerschaft zu Saied stehenden islamistisch geprägten Ennahda-Partei und der liberalen Partei Nidaa Tounes.

Tunesien | Proteste der Opposition in Tunis

Demonstration für die Freilassung inhaftierter Oppositioneller am vergangenen Sonntag

In zahlreichen Gemeinderäten war es danach zu erheblichen Konflikten gekommen. Es fanden mehrere Neuwahlen statt. In vielen Gegenden Tunesiens hatten sich die Gemeinderäte zudem schwer getan, viel zu bewirken, da sie nur über ein geringes Budget verfügten.

Die meisten politischen Parteien boykottierten im Dezember und Januar die Wahlen zu einem neuen, größtenteils machtlosen Parlament, was bedeutete, dass die Gemeinderäte die letzte effektive Regierungsinstanz waren, in der sie noch vertreten waren.

Abbau demokratischer Einrichtungen

Seit Monaten kommt es regelmäßig zu Demonstrationen tausender Menschen gegen den autoritären Regierungsstil Saieds, der 2019 gewählt worden war. Ende Juli 2021 hatte er mithilfe eines Notstandsartikels der Verfassung den bisherigen Regierungschef abgesetzt, die Arbeit des Parlaments ausgesetzt und die Immunität der Abgeordneten aufgehoben. Durch die 2022 bestätigte Verfassungsänderung kann der Präsident nun praktisch nicht mehr abgesetzt werden.

Im vergangenen Monat nahmen die Behörden führende Kritiker und Oppositionelle fest, darunter auch prominente Ennahda-Mitglieder, die Saied als Kriminelle, Verräter und Terroristen bezeichnete, womit er zum ersten Mal in erheblichem Umfang gegen Andersdenkende vorging.

uh/sti (afp, rtr)