Ukraine aktuell: Kiew meldet ersten Abschuss einer russischen Hyperschallrakete

Das Wichtigste in Kürze:

  • Ukraine will erste russische Kinschal-Rakete abgeschossen haben
  • Prigoschin will Bachmut-Stellungen an Kadyrow übergeben
  • Nationalistischer russischer Autor Prilepin bei Anschlag verletzt
  • Präsident Selenskyj feiert Erfolg von “United24”
  • Proteste gegen Auftritt der Opernsängerin Anna Netrebko in Wiesbaden

Die Ukraine hat nach eigenen Angaben in dieser Woche erstmals eine russische Hyperschallrakete abgeschossen, die auf die Hauptstadt Kiew gerichtet war. Die Rakete vom Typ Kh-47 Kinschal sei am Donnerstagabend in der Region Kiew abgefangen worden, teilt die ukrainische Luftwaffe mit. Dabei sei ein US-Patriot-Luftverteidigungssystem im Einsatz gewesen. “Ich gratuliere dem ukrainischen Volk zu dem historischen Ereignis. Ja, wir haben die ‘beispiellose’ Kinschal abgeschossen”, erklärte der Luftwaffenkommandeur Mykola Oleschtschuk auf Telegram.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte die “Kinschal” (auf Deutsch “Dolch”) 2018 als eine von sechs Waffen der nächsten Generation präsentiert und erklärt, sie könne von keinem Luftverteidigungssystem der Welt abgeschossen werden. Die acht Meter lange Rakete ist gefürchtet, weil sie extrem hoch und extrem schnell fliegen kann. Sie gilt deshalb als besonders schwer abfangbar. Sollte der ukrainischen Luftverteidigung ein solcher Abschuss tatsächlich geglückt sein, wäre das also nicht nur ein militärischer, sondern auch ein wichtiger symbolischer Erfolg.

Die Ukraine hat ihre westlichen Verbündeten darum gebeten, die Luftabwehr zu verstärken. Russland hatte die ukrainische Energieinfrastruktur im Winter massiv aus der Luft beschossen. Mitte April wurden die ersten Patriot-Systeme an die Ukraine geliefert. Patriot gilt als das fortschrittlichste Luftabwehrsystem der Vereinigten Staaten. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte hervorgehoben, das System werde die Abwehr russischer Angriffe “erheblich” stärken.

Wagner-Chef will Bachmut-Stellungen an Tschetschenenführer übergeben

Der Chef der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, hat nach eigenen Angaben konkrete Vorbereitungen für den baldigen Abzug seiner Kämpfer von der Front in der Ostukraine getroffen. Er will seine Stellungen in der hart umkämpften Stadt Bachmut an den Tschetschenenführer Ramsan Kadyrow übergeben. Prigoschin beschwerte sich zuletzt immer wieder öffentlich über angeblich fehlende Munition für seine Kämpfer. Dadurch solle der Wagner-Gruppe ein Sieg in Bachmut verwehrt werden, da dies die reguläre russische Armee in den Schatten stellen würde, behauptet Prigoschin. Am Freitag dann kündigte der 61-Jährige an, seine Söldner aus diesem Grund aus Bachmut abzuziehen.

Ukraine | Krieg | Videostill Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin

Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin (Archivbiuld)

In einem von seinem Pressedienst auf Telegram veröffentlichten Brief an Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu forderte der Wagner-Chef nun, “bis zum 10. Mai um 00.00 Uhr einen Befehl für die Übergabe der Stellungen (…) von Wagner in Bachmut und Umgebung an die Einheiten des Achmat-Bataillons zu erteilen”. Kadyrow hatte zuvor erklärt, Männer seiner Truppe “Achmat” könnten in Bachmut die Stellungen der Wagner-Söldner übernehmen.

Ukraine-Krieg - Kadyrow

Tschetschenen-Führer Ramsan Kadyrow (Archiv)

Russland setzt im Angriffskrieg gegen die Ukraine auch Einheiten aus Tschetschenien ein. Sie gehören formal zu Polizei und Nationalgarde, folgen aber faktisch vor allem Kadyrows Kommando.

Machtkampf innerhalb der russischen Militärführung?

Russlands Armee, die in der Region Bachmut bislang gemeinsam mit den Wagner-Söldnern in äußerst verlustreichen Gefechten kämpft, äußerte sich weiter nicht zu Prigoschins Ankündigungen und Anschuldigungen. Schon am Freitag hatte das Verteidigungsministerium zu dem Thema geschwiegen. Stattdessen teilte die Behörde – ohne expliziten Bezug auf Prigoschin – mit, Schoigu habe angeordnet, Waffenlieferungen ins Kampfgebiet unter “besonderer Kontrolle” zu halten.

Nationalistischer russischer Autor Prilepin bei Anschlag verletzt

In Russland ist der bekannte kremlnahe nationalistische Schriftsteller Sachar Prilepin bei einem Autobombenanschlag verletzt worden. Russische Nachrichtenagenturen melden unter Berufung auf das Innenministerium, der 47-Jährige sei in seinem Auto in der Region Nischni Nowgorod östlich von Moskau unterwegs gewesen, als ein Sprengsatz am Auto detonierte. Prilepins Fahrer sei getötet worden. Der zuständige Gouverneur Gleb Nikitin schrieb auf Telegram, Ermittler seien am Tatort unweit der Stadt Bor eingetroffen. Wer hinter dem Angriff steckt, ist unklar.

Russland | Sachar Prilepin, russischer Schriftsteller

Der russische Schriftsteller Sachar Prilepin bei einer Buchvorstellung in Moskau 2022

Die Regierung in Moskau machte umgehend den Westen für das Attentat verantwortlich. Die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, warf den USA und Großbritannien vor, “ukrainischen Terrorismus” zu unterstützen. Prilepin ist ein Verfechter des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Zwischenzeitlich kämpfte der Autor auch selbst dort.

In sozialen Netzwerken meldete sich eine ukrainische Bewegung namens Atesch zu Wort und deutete an, hinter dem Anschlag auf Prilepin zu stecken. Die Gruppe bezeichnet sich als Partisanenbewegung von ethnischen Ukrainern und Krimtataren und hat in den vergangenen Monaten mehrere Anschläge in russisch besetzten ukrainischen Gebieten für sich beansprucht. “Die Bewegung Atesch war seit Jahresbeginn hinter Prilepin her”, hieß es in dem Text. Und weiter: “Wir hatten so ein Gefühl, dass er früher oder später in die Luft gesprengt wird.” Die Glaubwürdigkeit der Mitteilung konnte zunächst nicht überprüft werden.

Seit im Februar 2022 die russische Invasion in die Ukraine begonnen hat, wurden in Russland zwei führende Befürworter des Krieges bei Bombenanschlägen getötet. Darja Dugina, die Tochter eines nationalistischen Ideologen, starb im August bei einem Autobombenanschlag in der Nähe von Moskau. Im April wurde der Militärblogger Wladlen Tatarski bei einem Bombenanschlag in einem Café in St. Petersburg getötet.

Weiterer Gefangenenaustausch zwischen Russland und der Ukraine

Mehr als 14 Monate nach Kriegsbeginn haben Russland und die Ukraine erneut Gefangene ausgetauscht. Das Verteidigungsministerium in Moskau teilte mit, drei Piloten der russischen Luftwaffe seien “als Ergebnis eines schwierigen Verhandlungsprozesses” freigekommen. In Kiew war von 45 Soldaten die Rede, die im Gegenzug aus der russischen Gefangenschaft entlassen worden seien. Es handele sich um 42 Männer und 3 Frauen, die im Frühjahr die Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer bis zu deren Fall verteidigt hätten, schreibt der Chef des Präsidentenbüros, Andrij Jermak, auf Telegram.

Der Austausch unterscheidet sich insofern von vielen in der Vergangenheit, als dass bei ihnen die Zahl der zurückgekehrten Russen und Ukrainer in der Regel ungefähr gleich hoch gewesen war. Gefangenenaustausche sind derzeit das einzige Feld, über das beide Kriegsparteien regelmäßig miteinander verhandeln.

Präsident Selenskyj feiert Erfolg von “United24”

In Kiew hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Erfolge der von ihm im Vorjahr ins Leben gerufenen Spendenplattform “United24” für die Ukraine gefeiert. Das ursprüngliche Ziel, Menschen weltweit zu vereinen, um sich für die Ukraine und die Freiheit einzusetzen, sei gelungen, sagte Selenskyj in seiner allabendlichen Videoansprache.

Ukraine Präsident Wolodymyr Selenskyj

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj

Die Plattform hat seit ihrer Gründung vor genau einem Jahr nach eigener Darstellung bisher mehr als 325 Millionen Dollar (294 Millionen Euro) an Spenden aus 110 Ländern gesammelt.

Die Gelder werden bislang vor allem im militärischen und im medizinischen Sektor verwendet. “Jetzt fügen wir einen Bildungsbereich hinzu – die Wiederherstellung von Schulen – sowie die Minenräumung”, sagte Selenskyj. Vor allem die Minenräumung sei “eine große Aufgabe für die Ukraine, die nicht in Jahrzehnten, sondern in Jahren umgesetzt werden kann, wenn es genügend globale Unterstützung gibt”.

EU gibt eine Milliarde Euro für Munition

Die Europäische Union stellt eine weitere Milliarde Euro für die Anschaffung von Munition für die Ukraine bereit. Dies vereinbarten Regierungsvertreter der 27 Mitgliedstaaten in Brüssel. Zusammen mit einem früheren Beschluss von Mitte April steigt die Munitionshilfe somit auf zwei Milliarden Euro. Insgesamt erhöht sich die militärische Unterstützung, die über die sogenannte Friedensfazilität finanziert wird, auf 5,6 Milliarden Euro.

Ukraine - EU gibt eine Milliarde Euro für Munition frei

Artilleriegeschosse mit dem Kaliber 155 Millimeter in Südfrankreich (Archivbild)

Mit der Maßnahme sollen 155-Millimeter-Artilleriegranaten und gegebenenfalls Raketen bei der europäischen Rüstungsindustrie beschafft werden. Geliefert werden sollen die Geschosse von Herstellern aus der EU und aus Norwegen, die in Europa fertigen. Vorprodukte und andere Bestandteile dürfen aber auch aus Drittländern stammen. Kosten in Höhe von bis zu einer Milliarde Euro können sich die Mitgliedstaaten aus dem europäischen Friedensfonds erstatten lassen.

Insgesamt hat die Europäische Union der Ukraine eine Million Geschosse innerhalb eines Jahres versprochen. Der aktuelle Beschluss setzt den zweiten Teil der mehrgleisigen Vereinbarung um. Der erste Teil sah die Weitergabe aus vorhandenen Beständen oder die Umwidmung schon aufgegebener Bestellungen vor. Für den dritten Teil des Plans veröffentlichte die EU-Kommission am Mittwoch ihren Vorschlag. Er zielt auf eine Steigerung der europäischen Rüstungsproduktion.

Berliner Gericht erlaubt ukrainische Flaggen

Mit einer Reihe von Verboten wollte die Berliner Polizei verhindern, dass das Weltkriegsgedenken am 8. und 9. Mai für Kriegspropaganda missbraucht wird. An den beiden Tagen jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa zum 78. Mal. Doch nach Informationen des “Tagesspiegels” kippte das Verwaltungsgericht Berlin das Verbot und erlaubte, dass ukrainische Flaggen an drei sowjetischen Ehrenmalen gezeigt werden dürfen.

Die Berliner Polizei twitterte in der Nacht zu Samstag, das Gericht habe die Gefährdungsbewertung anders beurteilt und das Zeigen ukrainischer Flaggen und Fahnen sowie ukrainische Marsch- und Militärlieder an den benannten Örtlichkeiten erlaubt. “Wir werden gegen den Beschluss kein Rechtsmittel einlegen.”

Ein Fahnenverbot hatte es bereits im Vorjahr gegeben. Es sorgte damals für viel Kritik von ukrainischer Seite, unter anderem vom damaligen ukrainischen Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk. Mit den Auflagen wollte der Senat laut eigener Aussage verhindern, dass das Weltkriegsgedenken von möglichen Konflikten im Zusammenhang mit dem aktuellen Krieg in der Ukraine überschattet wird.

Proteste gegen Netrebko-Auftritt in Wiesbaden

Hunderte Menschen haben vor dem Hessischen Staatstheater gegen einen Auftritt der russischen Starsopranistin Anna Netrebko demonstriert. “Sie zu den Festspielen einzuladen, die den politischen Gefangenen der Welt gewidmet sein sollen, ist ein Affront gegen Land, Stadt und alle, die in Solidarität zur Ukraine stehen”, sagte der Vorsitzende der Initiative Europa-Union in Hessen, Peter Niederelz.

Deutschland Demo gegen Netrebko-Auftritt vor dem hessischen Staatstheater

Hunderte Menschen demonstrieren in Wiesbaden gegen einen Auftritt der russischen Starsopranistin Anna Netrebko

Die Bürgerinitiative hatte zu der Solidaritätskundgebung aufgerufen, nachdem der Intendant des Staatstheaters, Uwe Eric Laufenberg, Netrebko zu den Festspielen eingeladen hatte. Laut Angaben der Polizei waren insgesamt 450 Demonstranten vor Ort. Viele der Demonstranten schwenkten ukrainische Flaggen, trugen Blumen im Haar und hielten Plakate in die Höhe mit Aufschriften wie “Kein Applaus für Putins Propaganda-Netrebko”. Musiker und Musikerinnen des Hessischen Staatsorchesters spielten vor dem Gebäude die ukrainische Nationalhymne und die Europa-Hymne, viele sangen mit.

Untersuchungshaft für russische Theater-Frauen

Ein Moskauer Gericht hat gegen die Theaterregisseurin Jewgenija Berkowitsch und die Dramaturgin Swetlana Petrijtschuk Untersuchungshaft wegen “Rechtfertigung von Terrorismus” in einem ihrer Stücke angeordnet. Wie russische Nachrichtenagenturen berichten, müssen die 38-jährige Berkowitsch und die 43-jährige Petrijtschuk bis zum 4. Juli in Gewahrsam bleiben. Ihnen drohten bei einer Verurteilung bis zu sieben Jahre Gefängnis.

Russland Theaterregisseurin Jewgenija Berkowitsch

Theaterregisseurin Jewgenija Berkowitsch bei ihrer Anhörung in einem Moskauer Gericht

Berkowitsch und Petrijtschuk waren am Donnerstag festgenommen worden. Ihnen wird vorgeworfen, in dem ausschließlich mit Frauen besetzten Stück “Finist, der tapfere Falke”, “Terrorismus gerechtfertigt” zu haben. In dem preisgekrönten Werk geht es um russische Frauen, die im Netz rekrutiert werden, um Islamisten in Syrien zu heiraten.

Nach Agenturangaben versammelten sich vor dem Gericht rund 100 Menschen, darunter der Journalist und Nobelpreisträger Dmitri Muratow. Mehr als 3000 Menschen unterschrieben eine Online-Petition mit einem Aufruf zur Freilassung der beiden Frauen. Darin werden die russischen Behörden aufgerufen, “Mörder statt Dichter zu verfolgen”. Berkowitsch hatte sich auch öffentlich gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine ausgesprochen.

qu/kle/sti/jj/mak/wa (dpa, afp, rtr, kna)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.