Warnung vor Chaos im Malteserorden

Der Malteserorden in der katholischen Kirche ist eine knapp 1000 Jahre alte Institution. Sie ist international rechtlich anerkannt. Seit Jahrzehnten leistet der Orden an Brennpunkten auf verschiedenen Kontinenten humanitäre Arbeit. Und doch gibt es nun erbitterte Kontroversen um eine strukturelle Neuaufstellung. In einem in dieser Form einmaligen offenen Brief wenden sich nun führende Malteser an Papst Franziskus und rufen ihn auf, die Reformpläne zu stoppen. In Deutschland ist Erich Prinz von Lobkowicz (das Titelfoto zeigt ihn im von einer Explosion zerstörten Hafen von Beirut im August 2020) als Präsident der deutschen Assoziation des Ordens der ranghöchste Malteser. Im Interview der Deutschen Welle begründet er seine Bedenken gegen die Neuordnung. 

 

DW: Prinz von Lobkowicz, Sie haben den Appell an den Papst unterschrieben. Warum? 

Dr. Erich Prinz von Lobkowicz

Erich Prinz von Lobkowicz, ranghöchster Malteser in Deutschland

Prinz von Lobkowicz: In einem so großen Gebilde, wie es der Malteserorden heute darstellt, ist es ganz entscheidend, dass die Regeln des Umgangs eingehalten werden. Sie sind im Malteserorden in einer Verfassung und einem Kodex festgelegt. Seit Oktober 2021 hat die im Vatikan für die Reform zuständige Gruppe ihr Handeln von Verfassung und Kodex vollkommen frei gemacht. Das sorgte für großes Chaos und bringt den Orden an den Rand des Zerberstens. Deswegen appellieren wir direkt an den Heiligen Vater, seinen Legaten für den Malteserorden anzuhalten, die vom Vatikan anerkannte Verfassung des Ordens zu achten. 

Dieser Legat ist Kardinal Tomasi. Er wurde eigens für diese Reform von Papst Franziskus eingesetzt und bekam sehr weitreichende Vollmachten. Hat sich Tomasi im Konflikt auf eine Seite geschlagen?

In der katholischen Kirche rumort es, wie Sie wissen, allenthalben. Die Organisation bewegt sich vom Klerikalen hin zum Laien, zur Selbstorganisation, zu modernen Strukturen. Doch ausgerechnet bei uns, wo 13.500 Ordensdamen und -ritter weltweit eine wirklich sehr effiziente Hilfsorganisation aufgebaut haben, versucht nun eine kleine Gruppe, die Uhr so zurückzudrehen, dass allein 36 Ritter, die die Gelübde von Armut, Keuschheit und Gehorsam abgelegt haben und von denen nur 17 unter 70 Jahre alt sind, alle Zuständigkeiten haben sollen. Verantwortlich dafür ist nicht Kardinal Tomasi, verantwortlich sind Akteure in seinem Umfeld. Aber dieses Vorhaben wird zu Chaos führen. Und deswegen sagen wir als langjährig engagierte Präsidenten der humanitär tätigen Malteser-Werke: Halt! Wir müssen das noch einmal genauer anschauen. 

Ihr Orden kam vor gut fünf Jahren mit einer dramatischen Machtprobe in die Schlagzeilen. Sie wirkte geradezu wie ein Putschversuch reaktionärer Kräfte, überwiegend aus dem nordamerikanischen Bereich. Sehen Sie jetzt eine ähnliche Lage? Fürchten Sie so etwas wie einen zweiten Putschversuch auch gegen die eigentliche Intention von Papst Franziskus? 

Das kann man durchaus vermuten. Denn schon 2017 richtete sich der – wie Sie sagen – Putschversuch gegen die kirchliche Linie von Papst Franziskus. Unser Heiliger Vater handelt sonst sehr modern, er kennt die Kirche ganz genau. Er weiß, wo eine moderne Kirche hin muss. Und er versucht behutsam, sie dorthin zu führen. Dass nun ausgerechnet bei uns als dem größten katholischen Orden der Krankenpflege und -hilfe die Uhr in die 1950er Jahre zurückgedreht werden soll, kann nicht in der Intention des Papstes liegen. 

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Papst Franziskus, hier im Juni 2021

Bei einem normalen Verein, einer Partei oder einer vergleichbaren Organisation würde man im Zuge einer großen Reform öffentliche Beratungen oder eine formale Anhörung erwarten. Warum haben Sie seit dem Herbst 2021 nicht solche Möglichkeiten genutzt?

Eben das beklagen wir. Das ist genau das Problem. Die Vorschläge, die jetzt im Raum stehen, wurden hinter den Mauern des Vatikans ausgemauschelt. Uns Präsidenten der nationalen Malteser-Assoziationen gewährte man im Oktober 2021 eine Zoom-Anhörung. Ich möchte sagen: eine sogenannte Anhörung. Denn wir durften da gar nichts sagen. Stattdessen wurden uns Ausschnitte aus den Plänen vorgetragen – und dann war die Zoom-Session auch schon wieder vorbei. Unsere Bewertung war da gar nicht gefragt.

Im offenen Brief warnen sie auch vor Auswirkungen auf das in den vergangenen Jahrzehnten massiv gewachsene humanitäre Engagement von Zehntausenden ehrenamtlichen Malteser-Kräften, sei es im Libanon oder im Irak, in der Ukraine oder an der Ahr. Sehen Sie dieses Engagement tatsächlich gefährdet? 

Ja. Das Engagement ist in dem Moment gefährdet, in dem unser wirklich sehr großes Hilfsmittel, nämlich die Souveränität des Ordens und sein diplomatischer Dienst, in Gefahr gerät. Denn genau diese Aspekte ermöglichen uns, sehr zügig und an den richtigen Stellen in den Krisengebieten zu verhandeln und tätig zu werden. Wenn aber Länder – und diese Gefahr bestünde bei der Reform akut – uns nurmehr als Anhängsel des Vatikans sehen würden, wäre das eine wirkliche Gefahr. Dem muss man unbedingt vorbeugen. 

Sie sehen längerfristig dann den ungewöhnlichen Status des Malteserordens, der ja ein eigenes Völkerrechtssubjekt und damit wirklich souverän ist, gefährdet?

Ja. Das ist so. Die diplomatische Arbeit ist eine wesentliche Stütze der humanitären Arbeit und dient auch nur diesem Ziel. Wir haben keine eigenen politischen Ziele. Aber wir benutzen das ganze Handwerkszeug der diplomatischen Rüstkammer, um humanitäre Arbeit effizient zu leisten. Darin wurden wir von den Päpsten auch immer unterstützt. Und es ist ganz gewiss im Sinne des Heiligen Vaters, dass das auch weiterhin so ist. 

Pakistan Hilfsorganisation Malteser International

Gesundheitliche Aufklärungskampagne der Malteser in Pakistan

Den offenen Brief haben mittlerweile 15 Präsidenten der nationalen Malteser-Assoziationen unterzeichnet. Wofür stehen diese 15 nationalen Organisationen im Orden? Sind sie eher randständig oder haben sie Bedeutung?

Die nationalen Assoziationen, deren Präsidenten diesen Brief unterschrieben haben, stellen ungefähr 90 Prozent der humanitären Arbeit des Ordens. 90 Prozent der Hilfeleistungen des Ordens, die rund 2,5 Milliarden Euro jährlich entsprechen. Es gibt noch viele weitere Assoziationen, deren Leistung aber aufgrund der prekären Lage in den jeweiligen Ländern eher klein sind. Wir haben zum Beispiel eine sehr aktive Assoziation auch in Nicaragua – aber dort sind derzeit der Präsident und der Vizepräsident im Gefängnis, weil sie sich mit dem Regime angelegt haben. Man kann sagen: Diejenigen, die den Brief unterschrieben haben, sprechen für den größten Teil der Hilfswerke. Es mag sein, dass die Assoziationen in Italien und den USA im Vergleich dazu sehr viele Mitglieder haben. Aber ihr Gesamtanteil an den Hilfswerken liegt deutlich unter zehn Prozent. 

Sie machen engagiert deutlich, dass Sie sich nicht gegen Papst Franziskus wenden, dass sie engagiert an der Seite des Papstes für dieses humanitäre Engagement und diese Historie des Ordens streiten wollen. Andererseits droht derzeit eine Bruchlinie. Was ist Ihre Hoffnung mit Blick auf Franziskus? 

Ich hoffe einfach sehr, dass der Heilige Vater unser Rufen hört und unsere Warnungen ernst nimmt. Und dass er für eine Reform sorgt, die diesen Namen verdient und bei der alle Teile des Ordens gehört werden. Aus der Perspektive der zehntausenden ehrenamtlichen Malteser-Kräfte im Bereich der Nothilfe und der humanitären Arbeit hoffen wir auf eine funktionierende Lösung, die unsere Arbeit trägt und absichert und nicht gefährdet. Mit einem solchen Reformwerk stünde Papst Franziskus in der Tradition so vieler seiner Vorgänger.

 

Zur Person: Erich Prinz von Lobkowicz (66) ist als Präsident der deutschen Assoziation des Souveränen Malteserordens seit 2006 der ranghöchste Vertreter der Malteser in Deutschland. Er repräsentiert zudem die Mitgliederversammlung der Malteser Werke, ist Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Malteser gGmbh und Stiftungsrats-Vorsitzender der Malteser Stiftung.

Der im 11. Jahrhundert in Jerusalem gegründete Malteserorden entspricht einer katholischen Ordensgemeinschaft und hat seit 1834 seinen Sitz in Rom. Er genießt den Status eines souveränen Völkerrechtssubjekts und unterhält diplomatische Beziehungen zu 112 Staaten, darunter Deutschland.

Interview: Christoph Strack