ChatGPT an Universitäten – wie KI Studierenden helfen kann

Als sich Doris Weßels Anfang Dezember das erste Mal bei ChatGPT einloggt, spürt sie, dass dies ein “magischer Moment” sein wird. Dabei erforscht die Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Kiel schon seit Jahren die Auswirkungen von KI-Sprachmodellen für den Bildungsbereich.

Der Chatbot ChatGPT wurde am 30. November 2022 von der im Silicon Valley ansässigen Firma OpenAI veröffentlicht, die unter anderem von Elon Musk mitbegründet wurde. Jede und jeder kann online mit der Künstlichen Intelligenz (KI) interagieren. Es genügt, Fragen oder Befehle in ein Chatfenster einzugeben, ChatGPT antwortet auf (fast) alles. Innerhalb von fünf Tagen hatten sich bereits eine Million Menschen angemeldet. Instagram brauchte dafür mehr als zwei Monate.

ChatGPT kann erklären, programmieren, argumentieren. Auch Doris Weßels staunt, als sie der KI die ersten Befehle erteilt. “Wir stoßen in eine andere Welt vor”, sagt sie. Die Magie dieser KI lässt sich laut Weßels nur schwer beschreiben. “Das muss man selber ausprobieren und erleben.”

Ghostwriting für alle

Für Mike Sharples war schon GPT-3, ein Vorläufer von ChatGPT, einer der wenigen “großen Durchbrüche”, die er in seiner 40-jährigen Karriere als KI-Wissenschaftler miterlebt hat.

Doch der britische Professor Emeritus der Open University sagt auch: “GPT demokratisiert das Plagiat”. Studierende können dem Programm nun einfach Befehle geben, um Texte in perfekter Sprache für sich schreiben zu lassen. Kostenloses Ghostwriting für alle sozusagen.

Bedroht ChatGPT die Bildung an Universitäten?

ChatGPT kann etwa verwendet werden, um akademische Texte zu schreiben. Mike Sharples hat die KI einen wissenschaftlichen Artikel generieren lassen, der laut ihm “eine erste fachliche Überprüfung bestehen könnte”. Im Internet häufen sich Berichte von Schülern, Schülerinnen und Studierenden, die die KI für ihre Hausaufgaben verwenden.

Das macht auch Doris Weßels Sorgen, die das virtuelle Kompetenzzentrum “Schreiben Lehren und Lernen mit KI” an der Fachhochschule Kiel mitbegründet hat. Laut Weßels laufen deutsche Hochschulen und Universitäten Gefahr, abgehängt zu werden: von der Software-Industrie, die immer leistungsstärkere KI-Systeme entwickelt, und von ihren eigenen Studierenden, die schneller als die Lehrenden diese immer intelligentere Software zu nutzen lernen. Studierende erfahren oft von neuen Entwicklungen in Echtzeit auf Social Media. Viel schneller als die ältere Generation.

Weßels zeichnet ein mögliches Horrorszenario – von gut vernetzten Studierenden und einem nichtsahnenden Professor, der denkt, er hätte hervorragende Arbeit geleistet, weil er auf einmal nur noch fehlerfreie Hausarbeiten korrigiert.

Debarka Sengupta führt das Infosys Centre for Artificial Intelligence (CAI) am IIIT Delhi. “Jeder in Indien kennt ChatGPT”, sagt er. Der Professor befürchtet, dass das Programm süchtig machen kann: Wenn Schüler nicht mehr lernen, selber Texte zu schreiben, sondern nur ChatGPT verwenden, könnten sie “extrem inkompetent und abhängig” werden, so Sengupta.

Datenerhebungen, die seine Meinung unterstützen, fehlen aber bisher. Das liegt auch an der Kürze der Zeit, die seit der Veröffentlichung von ChatGPT vergangen ist. Doch wie andere Forschende betont auch Sengupta: “Plagiat und Betrug gab es schon immer”. Man dürfe aber die Motivation der Studierenden nicht unterschätzen. Oder wie Mike Sharples sagt: “Studierende wollen lernen, nicht betrügen.”

Wie KI Studierenden hilft

Grundsätzlich sieht Sengupta ChatGPT jedoch überwiegend positiv. Die KI helfe seinen Studierenden. Eine von ihnen ist Bernadette Mathew. Für ihre Promotion in Biologie forscht sie an Krebswachstum. Dabei fallen große Mengen an Daten an, die es zu analysieren gilt. Dafür muss sie programmieren. Ein Problem für sie, denn Programmieren hat sie im Studium nie gelernt.

Sengupta hörte von ihren Schwierigkeiten und zeigte ihr ChatGPT. Jetzt gibt Bernadette Mathew ChatGPT Aufgaben, lässt das Programm Fehler in ihrem Code finden und lernt schließlich mithilfe der KI Programmiersprachen. Laut Mathew funktioniert das in “99 Prozent aller Fällen”. Das Beste sei, dass ChatGPT nicht einfach ihre Arbeit erledige, sondern ihr geduldig hilft, Programmieren wirklich zu verstehen.

OpenAI- und ChatGTP-Logo auf einem Bildschirm

ChatGPT kann nicht nur Texte schreiben, sondern auch in Python, JavaScript und R programmieren.

Bernadette Mathew sagt, durch die KI fühle sie sich “ermächtigt” eigenständig zu arbeiten. Sie muss nicht immer andere um Hilfe bitten. “Mit ChatGPT zu chatten ist wie mit einer echten Person zu chatten. Wenn ich das früher gewusst hätte, hätte ich mir so viel Arbeit ersparen können”, sagt sie. Sie glaubt, dass die KI auch die Arbeit anderer Biologen revolutionieren wird.

Denn diese könnten sich jetzt rein auf die Forschung konzentrieren und nicht darauf, Programmieren lernen zu müssen. Doch Mathew hat auch Angst, dass sie ChatGPT irgendwann nicht mehr nutzen kann, weil die KI kostenpflichtig wird.

Studierenden anderer Fächer kann ChatGPT ebenfalls helfen, glaubt Doris Weßels. Es kann Schreibblockaden lösen, die Angst vor dem weißen Blatt Papier reduzieren und die schwierigen ersten Worte, den ersten Absatz schreiben.

Weßels betont außerdem den Mehrwert der Inspiration, den ein digitaler Schreibassistent in Form von ChatGPT bieten kann.

Universitäten haben keine Wahl

Der kanadische Psycholinguist Daniel Lametti von der Acadia University vergleicht die Bedeutung von KI wie ChatGPT für akademische Texte mit der Erfindung des Taschenrechners für die Mathematik.

Dieser veränderte die Lehre fundamental. Davor zählte oft nur das Endergebnis, die Lösung einer Gleichung. Auf einmal war aber nicht mehr nur die Lösung entscheidend, sondern der Lösungsweg.

So könnten in Zukunft akademische Essays nicht mehr nach ihrer finalen Form bewertet werden, sondern darüber, wie Studierende einen ursprünglich per KI generierten Text verbessert und ergänzt haben.

Rotstift und Taschenrechner

Wird KI in der Zukunft zu einer Art “Taschenrechner des Schreibens”?

Wirklich intelligent ist die KI nicht

Lametti betont wie andere Fachleute: Die Texte der KI bilden nicht die Realität ab, sondern lediglich die Sprache, mit der die KI gefüttert wurde. Die Bedeutung dieser Sprache versteht ChatGPT aber nicht – etwa wie ein Papagei, der im Büro einer Professorin all ihre Gespräche mithört und dann irgendwann anfängt, schlaue Sätze von sich zu geben.

Darum ist auch manches, was ChatGPT schreibt, zwar gut zu lesen, aber völlig falsch. Deswegen ist die menschliche Korrektur so wichtig. Das ist oft schwer und erfordert wirkliches Wissen – und könnte so in Zukunft benotet werden. 

Für die Fachleute steht fest: Die Technologie verschwindet nicht mehr. ChatGPT ist eine Herausforderung für die Lehre, bietet den Universitäten aber auch Chancen, die sie für sich und die Studierenden nutzen können.

Debarka Sengupta hat schon eine Vermutung, welches Land hier wohl besonders schnell sein wird: Seine Heimat, das technikbegeisterte Indien.