CO2-Kompensation – echte Klimalösung oder fauler Trick?

Kann das Essen von Burgern den Klimawandel bekämpfen? Die schwedische Fast-Food-Kette Max scheint das zu glauben. Das Unternehmen behauptet nicht nur, keine Treibhausgase mehr auszustoßen, sondern bezeichnet auch seine Burger – mit und ohne Fleisch – als “klimapositiv”. Max gibt an, 110 Prozent seiner CO2-Emissionen auszugleichen – im Jahr 2020 insgesamt 147.000 Tonnen. Dies erfolge hauptsächlich durch Spenden für das Pflanzen von Bäumen in Uganda, so das Unternehmen.

Das klingt gut. Doch tatsächlich haben sich die absoluten Emissionen von Max zwischen 2007 und 2021 mehr als verdreifacht, was auf die Eröffnung neuer Restaurants und den damit verbundenen höheren Stromverbrauch zurückzuführen ist. Und das Unternehmen geht davon aus, dass sein CO2-Ausstoß weiter steigen wird. 

Ihren “Netto-Null-Anspruch” in puncto Treibhaushase erreicht die Burger-Kette allein durch die Finanzierung von CO2-Kompensationsmaßnahmen.

Wie funktioniert CO2-Kompensation?

Die Finanzierung von Maßnahmen zur CO2-Verringerung ist eine Möglichkeit, um Umweltschäden zu kompensieren. Unternehmen leisten einen finanziellen Beitrag für Projekte, die die jeweilige Menge an Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre verringern, und können im Gegenzug selbst weiterhin die Umwelt verschmutzen. 

Beispiele für solche Projekte sind etwa Baumpflanzungen oder die Wiedervernässung von Mooren, welche große Mengen an Kohlenstoff im Boden speichern. Nach dieser Logik ist es möglich, “klimaneutral” mit der deutschen Fluggesellschaft Lufthansa zu fliegen. Sogar die Fußballweltmeisterschaft in Katar bezeichnete sich selbst als klimaneutral. 

Ein Vogel watet durch eine Wasserlandschaft im Mount Ararat Nationalpark in der Türkei

Weil intakte Moore sehr viel CO2 speichern, werden CO2-Zertifikate für ihre Renaturierung verkauft

Diese Art von Klimaschutzindustrie erlebte in den vergangenen Jahren einen regelrechten Boom. Sie erreicht derzeit einen Marktwert von zwei Milliarden Dollar (1,87 Milliarden Euro) pro Jahr und wird bis zum Ende des Jahrzehnts voraussichtlich auf das Fünffache anwachsen.

Seit der Erfindung des Konzepts der Treibhausgas-Kompensation im Jahr 1987 gestatten einige internationale Verträge, etwa das Kyoto-Protokoll, den Industrieländern die Verwendung von sogenannten CO2-Gutschriften, um die Emissionsgrenzen einzuhalten. Jede dieser Gutschriften entspricht dem Wert von einer Tonne Kohlendioxid. Der Markt, auf dem diese Zertifikate gehandelt werden, ist riesig und entspricht etwa 261 Milliarden Dollar pro Jahr. Experten kritisieren jedoch, dass die Zertifikate den CO2-Ausstoß nicht effektiv verringern.

Wird bei der CO2-Kompensation betrogen?

Ein Rechercheverbund aus dem britischen Nachrichtenmagazin “The Guardian”, der deutschen Zeitung “Die Zeit” und der investigativen Website “Source Material” hat jüngst die Geschäfte von “Verra”, dem weltweit größten CO2-Zertifizierer, untersucht. Die Recherchen zeigen, dass es sich bei mehr als 90 Prozent der von “Verra” getätigten Kompensationsgeschäfte mit dem Regenwald sehr wahrscheinlich um Phantomgutschriften handelt. Das heißt: Diese Zertifikate entziehen der Atmosphäre demnach gar kein Treibhausgase, oder zumindest nicht in dem Maße, wie sie es vorgeben. “Verra” bestreitet das Ergebnis der Recherche vehement. 

Eine Fläche mit gerodetem Regenwald im Amazonas, in der Nähe von Uruara, im brasilianischen Bundesstaat Para

Wurde mit CO2-Zertifikaten zum Schutz des Regenwaldes betrogen?

“Es gibt gar nicht genügend Platz auf dem Planeten, um alle CO2-Emissionen durch Bäume zu absorbieren”, sagt Forrest Fleischman, Professor für Umwelt- und Naturressourcenpolitik an der Universität von Minnesota. Unternehmen dürften daher die Behauptung, sie seien “klimafreundlich”, nicht alleine auf Kompensationsmaßnahmen stützen dürfen, fordert Fleischman.

“Wenn ein Unternehmen behauptet, CO2-neutral zu sein, denken die Verbraucher, dass es der Umwelt keinen Schaden zufügt, aber in Wirklichkeit ist die Änderung des Geschäftsmodells kostspielig und zeitaufwändig”, erklärt Alexandra Mihailescu Cichon, stellvertretende Geschäftsführerin von Reprisk, einem in der Schweiz ansässigen Datenforschungsunternehmen, das die Umwelt-, Sozial- und Managementpraktiken von Unternehmen analysiert.

Die Kosten für Emissionsgutschriften – ab 4,24 Dollar (4 Euro) pro Tonne – liegen für Unternehmen oft weit unter den voraussichtlichen Kosten, die für ein Absenken der eigenen Emissionen anfallen würden. Außerdem gebe es aufgrund fehlender Regulierung noch immer keine einheitlichen Standards auf dem Kompensationsmarkt, kritisiert die Datenforscherin.

CO2-Emissionshandel in der Praxis

Kompensationsprojekte lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: CO2-Beseitigung und CO2-Vermeidung. Unter Beseitigung fallen solche Maßnahmen, bei denen CO2 aktiv aus der Luft entnommen und dauerhaft gespeichert wird, zum Beispiel durch das Pflanzen von Bäumen oder die direkte Abscheidung aus der Luft. Die Technologie der CO2-Abscheidung ist allerdings nicht in großem Maßstab verfügbar. Unter den im Umlauf befindlichen Emissionsgutschriften macht die aktive Entfernung von Kohlendioxid nur einen kleinen Prozentsatz aus.

Zur CO2-Vermeidung dienen Projekte, die die Freisetzung von Treibhausgasen verhindern, etwa das Abholzen von Bäumen. So kaufte etwa die US-Bank JP Morgan Chase 250.000 Hektar Wald für mehr als 500 Millionen Dollar. Die Bank bezahlte Waldbesitzer dafür, dass sie keine Bäume roden, damit diese CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen können. Gleichzeitig profitierte JP Morgan im Gegenzug selbst von dem Kauf, indem sie potenzielle CO2-Zertifikate für ihre Anleger generierte.

Schriftzug der US-Bank JP Morgan Chase & Co. an einem Gebäude

Die Bank JP Morgan Chase kaufte Wald, der nicht gerodet werden soll, und kann Anlegern so CO2-Zertifikate verkaufen

Kritiker werfen der Bank Greenwashing vor. Es sei zwar grundsätzlich gut, dass die Bäume nicht abgeholzt würden, heißt es. Aber man könne kaum nachhalten, ob das Stehenlassen der Bäume tatsächlich zu einer “Nettoentfernung” von CO2 aus der Atmosphäre führe – und falls ja, in welchem Umfang dies geschehe. Der sogenannten Nettoentfernung liegt die Frage zugrunde, ob die Maßnahmen aus den Emissionsgutschriften einen positiven Einfluss auf das Klima haben.

Ein weiterer Maßstab für die Zertifizierung von Kompensationsprojekten ist die “Dauerhaftigkeit” der Aktivität. Wenn ein Waldgebiet vor der Ausbeutung bewahrt wird, aber der Druck zur Ausbeutung der Wälder insgesamt nicht abnimmt – wird dann die Nachfrage nach Holz einfach woandershin verlagert, beispielsweise in einen anderen Wald?

Fachleute werfen diese Fragen auf, weil sie befürchten, dass die vermiedenen Emissionen – die generell nur geschätzt werden können – von denjenigen überbewertet werden, die finanziell davon profitieren.

Welche alternativen Ansätze zur CO2-Kompensation gibt es?

CO2-Kompensationen könnten jedoch schon bald strenger geprüft werden. Die Nichtregierungsorganisation Integrity Council for the Voluntary Carbon Market (zu deutsch: Integritätsrat für den freiwilligen Kohlenstoffmarkt) erarbeitet derzeit verschiedene Standards, mit denen gute von schlechten CO2-Zertifikaten unterschieden und minderwertige Zertifikate herausgefiltert werden können.

Auch naturbasierte Lösungen könnten Antworten bieten. Wie das gehen kann, zeigt eine Studie der “We Mean Business Coalition”, einem weltweiten Netzwerk aus sieben gemeinnützigen Klimaschutzorganisationen.

Dort heißt es: “Würden die 1700 größten Emittenten der Welt jährlich nur zehn Prozent ihrer ausgestoßenen Treibhausgase durch Investitionen in die Natur kompensieren, könnte dies bis 2030 fast 30 Gigatonnen an Emissionen aus der Atmosphäre entziehen und bis zu einer Billion US-Dollar an Klimafinanzierung mobilisieren.”

Redaktion: Tamsin Walker

Adaption aus dem Englischen: Jeannette Cwienk

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