Lebensbedrohliche Atemwegsinfektionen bei Kindern steigen dramatisch

Die Arztpraxen sind voll von Patienten, die husten, schniefen und die nicht nur elend aussehen, sondern sich vermutlich auch so fühlen. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) waren in diesem Jahr innerhalb nur eines Monats mehr als sieben Millionen Menschen von verschiedenen Atemwegserkrankungen betroffen. Die Arztpraxen kommen kaum noch hinterher.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Zahl von Infektionserkrankungen in den Wintermonaten steigt. Dieses Mal aber ist die Zahl extrem hoch und bringt medizinisches- und Pflegepersonal an die Grenzen des Möglichen. Die Zahl der Erkrankten hat sich innerhalb kürzester Zeit sprunghaft nach oben bewegt.

Insgesamt sind etwa 200 verschiedene Erkältungserreger bekannt. Vier davon sind nach Angaben des RKI in Deutschland und Europa gerade besonders stark in Umlauf: Influenzaviren, Rhinoviren, SARS-CoV-2 und das Respiratorische Synzytialvirus (RSV), das vor allem für Säuglinge und Kleinkinder gefährlich werden kann. 

Das RS-Virus kann für einen schweren Verlauf sorgen

Viele der Säuglinge und Kleinkinder, die sich mit dem RS-Virus infiziert haben, hat es so schwer getroffen, dass sie ins Krankenhaus eingewiesen und beatmet werden müssen. In einigen Regionen in Deutschland gibt es in den Kliniken schon keine freien Kinderbetten mehr, die Kinder und Säuglinge aufnehmen könnten.

Das RS-Virus taucht saisonal auf und verursacht Bronchiolitis, die vor allem Kinder unter 24 Monaten betrifft. Dabei entzünden sich die Atemwege und schwellen an. Durch diese Verengung verringert sich der Luftstrom in die Lunge und aus der Lunge heraus. Es kann zu einer Lungenentzündung kommen und zu Atemnot. Schleim bildet sich in den feinen Verästelungen der Bronchien, die gravierend geschädigt werden können. 

Fieber und Husten sind ebenfalls typisch für eine RSV-Infektion und bei einigen Kindern kommt es zu Symptomen, die denen bei Keuchhusten ähneln und ebenfalls zu einer lebensbedrohlichen Situation führen können.

Erwachsene hingegen stecken eine solche Infektion meist ohne größere Probleme weg, es sei denn sie haben ernsthafte Vorerkrankungen wie etwa Asthma, oder ihr Immunsystem funktioniert nicht optimal.

Kleinkind in Kenia müde auf dem Arm eines Erwachsenen

Das RS-Virus ist weltweit verbreitet

Corona hat Spuren hinterlassen

In der Hochphase der Corona-Epidemie waren Infektionen mit Erkältungsviren selten, auch die mit dem RS-Virus. Während dieser Zeit haben die meisten Menschen sehr auf die Hygieneregeln geachtet: Oft Händewaschen, Maske tragen, Abstand zueinander halten. Da hatten es Viren aller Art wesentlich schwerer, sich weit und schnell zu verbreiten.

In diesem Jahr sind die Corona-Regelungen nicht mehr so streng, Erkältungsviren müssen keine großen Abstände oder Masken überwinden, um jemanden zu infizieren. Sie haben wieder relativ freie Bahn und treffen jetzt auch all die Kinder, die zunächst von Erkältungsviren verschont geblieben waren. Während der Pandemie waren diese Fälle stark zurückgegangen. Jetzt häufen sie sich wieder und es kommt zu einer Art Stau, der dazu führt, dass die Krankheitsfälle um ein Vielfaches höher sind als sonst. 

Der Ausbruch von Erkältungen hat sich verzögert

Viele der Babys und Kleinkinder, die vor zwei Jahren keinen Infekt hatten, stecken sich diesen Winter an. Das gleiche gilt für diejenigen, die vor einem Jahr nicht erkrankt waren. Und dann sind da noch die Kleinen, die jetzt ihre erste Erkältungswelle erleben. Diese Fälle summieren sich und lassen die Gesamtzahl nach oben schnellen.

Ein weiterer Aspekt: All diese Kinder hatten noch keine Chance, Antikörper gegen das RSV oder auch viele andere Erkältungsviren aufzubauen. Die helfen dem Körper, Viren zu bekämpfen und ihn vor Erregern zu schützen. Durch die Hygiene-Regelungen wegen Corona ist es gar nicht erst dazu gekommen, dass sich das Immunsystem von Säuglingen und Kleinkindern mit Erkältungsviren auseinandersetzen musste. Jetzt kommen die Infektionen umso heftiger.

Säugling wird mit einem Stethoskop untersucht

Bei ersten Anzeichen einer Virus-Infektion sollten Eltern eine Arztpraxis aufsuchen

Worauf Eltern achten sollten

Ein wichtiges Alarmzeichen für Eltern ist es, wenn das Kind Schwierigkeiten beim Atmen hat oder rasselnde Atemgeräusche zu hören sind. Auch Pfeifen in der Lunge oder eine Art Knistern können ein Hinweis auf eine Atemwegserkrankung sein, beispielsweise auch eine RSV-Infektion.

Das Robert-Koch-Institut betont, dass Kinder mit RSV häufig nicht essen oder trinken wollen oder dass sie erbrechen. Müdigkeit kommt hinzu, eventuell werden die Kinder apathisch, haben an nichts mehr Interesse.

Woher genau die Symptome kommen, wie ernsthaft die Erkrankung ist oder ob sie für ein Kind sogar lebensbedrohlich werden könnte, untersuchen am besten medizinische Fachleute. Das Wichtigste also ist in einem solchen Fall, eine Kinderärztin oder einen Kinderarzt aufzusuchen, auch wenn es zurzeit gar nicht so einfach ist, eine Praxis zu finden, die freie Kapazitäten und ausreichend viele Mitarbeiter hat.

Schon jetzt warnt das RKI davor, dass die Infektionen noch lange nicht vorbei sind. In der nächsten Zeit könnten die Zahlen weltweit noch weiter steigen. Davon ist dann nicht nur Deutschland betroffen. Frankreich beispielsweise hat schon Anfang November einen Notfallplan für die Bronchiolitis-Epidemie aufgestellt. Vielleicht müssen schon bald andere Länder diesem Beispiel folgen.