Neues EU-Gesetz soll den Kollaps der Ökosysteme verhindern

Die Europäische Union will mit dem ersten Gesetz zur Wiederherstellung der Natur langfristig den Kollaps wichtiger Ökosysteme durch den Klimawandel und das Artensterben verhindern.

Streit gibt es bei den derzeitigen Verhandlungen vor allem bei der Nutzung von Mooren und Torf. Laut Vorschlag der Europäischen Kommission für die neue “EU-Verordnung über die Wiederherstellung der Natur” sollen 30 Prozent aller derzeit in der Landwirtschaft genutzten Torfböden bis zum Ende des Jahrzehnts renaturiert und teils anders genutzt werden. Bis 2050 soll der Anteil dann auf 70 Prozent steigen. 

Konservative im EU-Parlament und Bauernverbände laufen dagegen Sturm, sie befürchten empfindliche Landverluste für die Landwirtschaft. Befürworter sehen in dem Vorschlag einen nötigen Schritt, damit die Klimaziele der EU überhaupt erreicht werden können.

Torfböden  – Klimaretter oder Klimakiller? 

Moore können helfen, den Klimawandel zu verlangsamen. Denn gesunde, feuchte Moore können über Jahrtausende mehr Kohlenstoff speichern als alle anderen Ökosysteme. Das geschieht, wenn sich abgestorbene Pflanzenreste unter Luftabschluss im Wasser zersetzten und zu Torf umbilden. Dabei wächst die Torfschicht um nur einen Millimeter pro Jahr. 

Weltweit machen Moore gerade mal drei Prozent der Landfläche aus, sie binden aber fast doppelt so viel CO2 wie alle Wälder der Erde zusammen.

Rehdener Geestmoor bei Sonnenaufgang

Feuchtgebiete eine bedeutende Rolle für den Klimaschutz

Doch wenn nasse Moore trockengelegt werden, geht diese Speicherwirkung verloren. Sieben Prozent der Europäische Treibhausgasemissionen stammt aus trockengelegten Torfböden und ehemaligen Feuchtgebieten. Das ist fast so viel CO2 wie sämtliche Industrieprozesse der EU verursachen.

Die Trockenlegung von Mooren für die Landwirtschaft und der Abbau von Torf zur Verbesserung anderer Böden schaden dem Klima erheblich, so werden Torfböden von Kohlenstoff-Speichern zu Treibhausgas-Quellen. 

In Europa steht es nicht gut um die Moore 

Die nährstoffreichen und für die Artenvielfalt besonders wichtigen Torfböden machen europaweit insgesamt eine Fläche aus, die so groß ist wie Deutschland. Über die Hälfte davon ist schon jetzt nachhaltig geschädigt. In Deutschland sind es sogar über 90 Prozent, so die Forschungseinrichtung Greifswald Mire Center.

Während in den Niederlanden, Polen und Deutschland ein Großteil der trockengelegten Moore landwirtschaftlich genutzt wird, dienen sie in Skandinavien und den baltischen Staaten vor allem der Forstwirtschaft.

In Deutschland machen Torfböden etwa sieben Prozent der landwirtschaftlich Nutzflächen aus, doch sie verursachen 37 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen durch die Landwirtschaft.

Transformation “vergleichbar mit dem Kohleausstieg”

Mit dem neuen Gesetz soll sich das ändern. Zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens braucht es laut Sophie Hirschelmann, Expertin der Succow Stiftung und des Greifswalder Moor Centrums, “einen Paradigmenwechsel”. Das bedeute eine Transformation weg von einer Landwirtschaft auf trockenen Torfböden hin zur sogenannten Paludikultur, der Landwirtschaft auf nassen Torfböden. 

Um das zu erreichen, spielt die sogenannte Wiedervernässung eine entscheidende Rolle, also die Anhebung des Wasserspiegels bis zur Grasnarbe. Denn nur wenn der Boden mit Wasser bedeckt ist, wird der Verfall der Biomasse im Torf und der Ausstoß klimaschädlicher Emissionen gestoppt. Auch die Boden- und Wasserqualität und die Artenvielfalt profitieren langfristig.

Andere Landwirtschaft auf wiedervernässten Böden?

Im bisherigen Gesetzesvorschlag ist eine Wiedervernässung für die Hälfte der Flächen vorgesehen, auf der anderen Hälfte sollen auch weniger wirksamen Maßnahmen zum Einsatz kommen. Das sei zu wenig, findet Jutta Paulus Abgeordnete des Europäischen Parlaments für die Grünen.

“Wenn wir renaturieren, aber wir heben den Wasserstand nicht an, dann habe ich ja eine Wiese renaturiert, aber ich habe kein Moor renaturiert. Das heißt, es müssen schon Maßnahmen sein, die auch diesem Ökosystem tatsächlich zugutekommen.”

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Weil in Deutschland vergleichsweise viel Landwirtschaft auf Torfböden betrieben wird, sei die angestrebte Wiedervernässung und Umnutzung “von der Dimension für uns sehr vergleichbar mit dem Kohleausstieg”, so Hirschelmann, “Wir brauchen eine politische Gestaltung für den Wandel der Nutzung auf diesen Mooren”. Die soziale und wirtschaftliche Folgen für die Landwirte müssten dabei ein wichtige Rolle spielen. 

Falschinformationen zu renaturierten Mooren

Die Gruppe konservativer Parteien EPP (European People’s Party) im EU-Parlament fordert, die Ambitionen für die Restaurierung der Feuchtgebiete deutlich zu reduzieren und die Umnutzung landwirtschaftlich genutzter Flächen zu überdenken.

Für Aufregung sorgte dabei unter anderem eine von der EPP auf Twitter verbreitete Behauptung, es mache keinen Sinn, Dörfer, die vor hundert Jahren gebaut wurden, für Feuchtgebiete abzureißen.

Auf die DW Frage, auf welche Dörfer sich dieser Tweet genau bezieht, antwortete die EEP Pressestelle jedoch, man wisse nicht, ob überhaupt Dörfer und Infrastruktur in Gefahr seien. 

Als “Absurd” und “Populismus” bezeichnet Jutta Paulus von den Grünen die Verbreitung solcher Missinformationen.

Der Verband europäischer Landwirte Copa-Cogeca warnt indessen vor den wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des EU-Vorschlags. Dort wird befürchet, dass große Teile landwirtschaftlicher Flächen aus der Nutzung genommen oder deren Produktivität durch Wiedervernässung verringern würden, und sieht gar das Ziel der Ernährungssicherheit in Gefahr.

Im Gegensatz dazu betonen die Unterstützer, dass es bei dem neuen Gesetz um die langfristige Sicherung der Ernährung gehe. 

Sanierung von natürlichen Ressourcen soll langfristig Rendite bringen

Der EU-Kommissar für Umwelt, Meere und Fischerei Virginijus Sinkevičius etwa twitterte dazu: “Die Wiederherstellung der Natur bedroht nicht die Ernährungssicherheit, sondern sichert die Zukunft! […] Trotz der Mythen sind die Vorteile für die Landwirte vielfältig: Fruchtbare Böden, geringere Auswirkungen von Dürreperioden, Wasserrückhalt, Bestäubung.”

“Man wird immer mehr kurzfristig Profit aus einem entwässerten Moor ziehen können, was man mit einer Cash-Crop, also einer sehr gut vermarktbaren Pflanze, bepflanzt, als wenn man es in seiner wieder vernässen Form bewirtschaftet. Und deswegen wird es natürlich Kompensation geben müssen,” so die Grünen-Abgeordnete Paulus.

Die EU-Kommission rechnet vor, dass langfristig jeder Euro, der in die Wiederherstellung natürlicher Ressourcen investiert wird, mindestens das Achtfache an wirtschaftlicher Rendite einbringt.

Wasserbüffel am Niederrhein

Wasserbüffel fühlen sich auch auf sumpfigen Böden wohl, sie könnten auf wieder vernässten Torfböden Kühe ersetzen

Büffel statt Kühe: Nasse Torfböden profitabel nutzen

Befürworter für ein ambitionierteres Gesetzt verweisen darauf, dass profitable Landwirtschaft und die Restaurierung von Feuchtgebieten kein Wiederspruch sein müssen. 

Wird ein Gebiet wiedervernässt, können dort zwar keine Monokulturen wie Getreide oder Mais mehr angebaut werden, doch es könnten andere Früchte dort wachsen, so ein Positionspapier diverser wissenschaftlicher Einrichtungen und Umweltorganisationen.

Auch könnte auf den sanierten Flächen Holzwirtschaft aufgezogen oder Gräser und Schilfe angepflanzt werden, die als Dämmmaterial für den Bausektor oder als Ausgangsmaterial für organischen Plastikersatz dienen.

Und statt Kühen könnten in den Gebieten in Zukunft Wasserbüffeln weiden.

Klar ist allerdings: die Nutzung der Flächen müsste sich langfristig deutlich verändern.

“Da sehen wir im Moment noch so ganz stark so ein Henne-Ei-Problem”, so Hirschelmann. Zwar gäbe es schon viele Produkte, die marktreif seien. Doch mangle es einerseits den Bauern an langfristigen Zusagen für die Produktion, und den Abnehmern andererseits fehlte bislang ein ausreichendes Angebot.

In den nächsten Wochen will sich das EU-Parlament auf eine gemeinsame Position einigen und dann mit den Vertretern der 27 Mitgliedsländern im Europäischen Rat die Endfassung des Gesetzten aushandeln.