Schlangen haben Klitoris – empfinden sie auch Spaß beim Sex?

Vaginas von Schlangen und ihre Reproduktionsbiologie. Für dieses Thema entschied sich Megan Folwell Anfang 2021 als sie ihre Doktorarbeit an der Universität von Adelaide in Australien begann. Doch bei den Recherchen fiel ihr eine Diskrepanz auf.

“Ich dachte: ‘Ich höre viel über die Hemipenes, die männlichen Genitalien, aber ich habe nie etwas über irgendeine Form von Klitoris gehört'”, so Folwell gegenüber der DW. “Also habe ich angefangen, einige meiner eigenen Exemplare zu sezieren.”

Diese Forschung führte zu der Entdeckung, die Folwell und ihre Co-Autoren nun in der Zeitschrift Proceedings of the Royal Society B veröffentlichten: Weibliche Schlangen von mindestens neun Arten haben eine Klitoris. Und analog zu männlichen Schlangen, die einen Doppelpenis (die Hemipenes) haben, haben weibliche Schlangen eine zweiteilige Klitoris – die Hemiklitoris.

Das Organ misst teils weniger als einen Millimeter, teils bis zu sieben Millimeter. Und es liegt ein Stück entfernt von der Kloake, also von der Körperöffnung, die Schlangen gleichermaßen für Fortpflanzung und Verdauungsausscheidungen haben.

“Die männlichen Genitalien sind ziemlich offensichtlich und deutlich zu sehen”, sagt Holwell. “Die Hemiklitoris ist so klein und zierlich, dass es nicht überraschend ist, dass sie bisher übersehen wurde.”

Warum Schlangen jeweils ein Paar ihrer Genitalien haben, anstatt lediglich eines, wie bei anderen Tierarten üblich, wissen die Forschenden noch nicht.

Doktorandin Megan Folwell untersucht eine Schlange

Megan Folwell bei ihrer Forschungsarbeit an der Universität Adelaide in Australien.

Die Klitoris, ein Tabuthema

Holwell glaubt, dass es neben der Größe noch einen weiteren Grund gibt, warum ihre Studie die erste über die weiblichen Genitalien von Schlangen ist.

“Das Thema ist definitiv ein Tabu”, so die Doktorandin. “Es ist nicht immer einfach, diese Forschung anzusprechen, und besonders, wenn man es zum ersten Mal erwähnt, ist es schwer, den Respekt zu erhalten, der eigentlich angebracht wäre.”

Bei der Untersuchung von tierischem Paarungsverhalten liege der Schwerpunkt oft auf dem Männchen und warum es tut, was es tut, sagt Holwell. Das Gebiet der tierischen Sexualität, “ist in der Regel so auf die Männchen fokussiert, dass wir kaum verstehen, was bei den Weibchen passiert”.

Die Klitoris – und was sie alles kann 

Auch beim Menschen waren die weiblichen Genitalien lange nicht ausreichend erforscht. Jahrzehntelang glaubten Forschende beispielsweise, dass die menschliche Klitoris nur eine kleine Perle sei. Erst 1998 entdeckte eine australische Urologin, dass sich bis zu zehn Zentimeter große Schwellkörper im Inneren des Beckens befinden.

Hemiklitoris wird nicht bei Paarung stimuliert

Die Paarung von Schlangen ähnelt dem Geschlechtsverkehr bei Menschen. Die männliche Schlange dringt mit einem ihrer Penisse in die Vagina oder genauer die Kloake ein. Bei der Paarung kommt immer nur einer der Hemipenes zum Einsatz, aber Forschende nehmen an, dass Schlangen innerhalb kurzer Zeit beide Penisse zum Einsatz bringen können.

Da sich die Hemiklitoris an der Unterseite des weiblichen Schlangenschwanzes und damit ein Stück entfernt von der Kloake befindet, ist sie bei der Paarung nicht direkt involviert.

“Die Penetration des Penis wird die Klitoris wahrscheinlich nicht stimulieren”, so Folwell. “Wir denken aber, dass bestimmte Verhaltensweisen wie das Umschlingen des Weibchens mit dem Schwanz durch das Männchen und das Pulsieren die Klitoris möglicherweise stimulieren könnten.”

Eine weitere Ähnlichkeit zum Menschen: Denn penetrativer Sex stimuliert die Klitoris bei Frauen normalerweise auch nicht.

Empfinden Tiere sexuelle Lust?

Die Hemiklitoris ist also nicht direkt am Fortpflanzungsprozess der Schlangen beteiligt. Welchen Zweck könnte sie also erfüllen?

Holwell und ihr Team fanden Nervenbündel in dem Organ. Ein Hinweis, dass sie “wahrscheinlich eine große Sensibilität aufweist, die zur Stimulation während der Paarung genutzt werden könnte”, so die Forscherin.

Warum Tiere im Laufe der Evolution Genitalien entwickelt haben, die es ihnen potenziell ermöglichen, beim Sex Lust zu empfinden, ist wissenschaftlich noch nicht geklärt.

Eine im Januar 2022 in der Zeitschrift Current Biology veröffentlichte Studie ergab, dass auch weibliche Delfine eine Klitoris haben. Die Delfin-Klitoris hat Schwellkörper, die im Aufbau denen des Menschen ähneln. Bei Menschen strömt Blut in die Schwellkörper, wenn die Klitoris stimuliert wird. Patricia Brennan, die Hauptautorin der Studie und ebenfalls Mitautorin von Holwells Schlangenstudie, meint, dies scheine auch bei Delfinen der Fall zu sein.

Zudem ist die Haut der Klitoris von Delfinen dreimal dünner als das umliegende Genitalgewebe, was darauf hindeutet, dass die Klitoris sehr empfindlich ist. Die Forscher entdeckten in der Delfin-Klitoris auch bestimmte Nervenenden, die ebenso in menschlichen Genitalien und Brustwarzen zu finden sind. Beim Menschen sind sie an der sexuellen Lustreaktion beteiligt, und in der Studie heißt es: “Ihr Vorhandensein lässt auf eine ähnliche Funktion bei Delfinen schließen.”

Haben Schlangen, Delfine und möglicherweise auch andere Tiere Sex zum Vergnügen?

“Früher dachten wir, dass Tiere keinen Schmerz empfinden, aber das ist offensichtlich widerlegt worden”, so Holwell.

Kopffüßer wie Tintenfische zum Beispiel empfinden nicht nur Schmerz, sie können sich auch an Orte erinnern, an denen ihnen jemand oder etwas Schmerzen bereitet hat, und meiden diese Orte. Das war das Ergebnis einer im Jahr 2022 in der Fachzeitschrift Science veröffentlichten Studie.

Und Schmerz ist nicht das einzige Gefühl, das Tiere empfinden. Primaten haben einen Sinn für sich selbst, sie verfügen über kognitive Fähigkeiten wie logisches Denken und zeigen Empathie, sagen Experten wie Karsten Brensing, ein deutscher Biologe und Verhaltensforscher.

Auf Grundlage des heutigen Wissensstandes über das Innenleben von Tieren und aktuelle Forschungsergebnisse wie die von Brennan zu Delfinen, scheint es nicht weit hergeholt zu denken, dass auch Tiere Lust empfinden könnten.

“Das könnte auch bei Schlangen ein Faktor sein”, sagte Holwell. “Aber wir müssen natürlich noch viel mehr Arbeit leisten, um das zu beweisen”.

Adaptiert aus dem Englischen von Mira Fricke.