Das Wichtigste in Kürze:
- Kiew lehnt einen Besuch von Bundespräsident Steinmeier ab
- Russlands Präsident Putin gibt sich siegesgewiss
- Selenskyj: Öl-Embargo gegen Russland ist ein Muss
- Bekannter Kreml-Kritiker festgenommen
- Frankreich weist sechs russische Staatsbürger aus
Ein Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in der Ukraine ist von der Führung in Kiew abgelehnt worden. Bei einem Besuch in Polen teilte Steinmeier mit, sein polnischer Kollege Andrzej Duda habe in den vergangenen Tagen angeregt, gemeinsam mit ihm und den baltischen Präsidenten nach Kiew zu reisen. “Ich war dazu bereit, aber offenbar – und ich muss das zur Kenntnis nehmen – war das in Kiew nicht gewünscht”, so der Bundespräsident.
Steinmeier hatte in der vergangenen Woche Fehler in der Russlandpolitik während seiner früheren Tätigkeit als Außenminister eingeräumt. Der Sozialdemokrat war unter der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel zweimal Außenminister, zuletzt von 2013 bis 2017, und davor Kanzleramtschef unter Ex-Regierungschef Gerhard Schröder. In dieser Zeit suchte Deutschland den Dialog mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und pflegte enge Beziehungen im Energiesektor. Steinmeier unterstützte auch das umstrittene und von der Ukraine besonders scharf kritisierte Projekt der Gaspipeline Nord Stream 2.
Grünes Licht gab die Kiewer Führung hingegen für den Besuch mehrerer Bundestagsabgeordneter: Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, der SPD-Außenpolitiker Michael Roth und der grüne Vorsitzende des Europaausschusses, Anton Hofreiter, trafen sich im Westen der Ukraine mit Vertretern des ukrainischen Parlaments.
Symbolischer Charakter
Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hatte am Wochenende deutlich gemacht, dass die Ukraine eher einen Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz als von Steinmeier erwarte. Eine Kiew-Reise des Bundespräsidenten hätte nur symbolischen Charakter, sagte er. “Es sollten lieber Mitglieder der Bundesregierung kommen, die konkrete Entscheidungen über weitere massive Unterstützung für die Ukraine treffen.”
Steinmeier dankte der polnischen Regierung für die Aufnahme Hunderttausender Flüchtlinge aus der Ukraine. “Ich empfinde wirklich tiefen Respekt und auch große Dankbarkeit für die großzügige und gut organisierte Aufnahme der Geflüchteten hier in Polen”, sagte er nach einem Gespräch mit Duda. Es handele sich um einen “enormen Kraftakt”, an dem sich Deutschland weiter solidarisch beteiligen werde, sagte Steinmeier. “Das ist eine gemeinsame Aufgabe für die gesamte Europäische Union und ihre Partner.”
Polen ist das Hauptankunftsland für ukrainische Flüchtlinge. Mehr als 2,6 Millionen Schutzsuchende kamen dort bereits an.

Polen hat die Hauptlast bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise zu tragen
“Verbrechen müssen aufgeklärt werden”
Mit Blick auf den russischen Präsidenten fügte Steinmeier hinzu: “Eines ist in meinen Augen klar: Eine Rückkehr zur Normalität kann es mit dem Russland unter Putin nicht geben.” Die russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine seien “vor den Augen der Welt sichtbar geworden”, so der Bundespräsident. Diese Verbrechen müssten dokumentiert und aufgeklärt, die Täter und die politisch Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

Kremlchef Wladimir Putin beim Besuch des russischen Weltraumbahnhofs in Wostotschnyr im fernen Osten des Landes
Kurz vor der erwarteten Offensive in der Ostukraine zeigte sich Putin siegessicher und überzog den Westen mit Vorwürfen. Seine Ziele in der Ukraine würden erreicht, sagte der Kremlchef während der Besichtigung des russischen Weltraumbahnhofs in Wostotschny im fernen Osten des Landes. “Daran gibt es keinen Zweifel.” Den USA und Europa hielt er vor, sie führten mit ihren Sanktionen einen “Wirtschaftskrieg” gegen Russland, der aber gescheitert sei.
“Russland will sich nicht abschotten”
Putin betonte zudem, dass sich Russland nicht vom Rest der Welt abschotten wolle. Auch die Sanktionen, mit denen der Westen auf die russische Invasion reagierte, können Russland nach Ansicht Putins nicht isolieren. Das russische Finanzsystem funktioniere gut, so der Kremlchef. Er gehe davon aus, dass im Westen gesunder Menschenverstand vorherrsche. Mittel- und langfristig dürften die Auswirkungen der Sanktionen zunehmen, doch die russische Wirtschaft werde sich darauf einstellen. Zudem werde Moskau sein technisches Potenzial – speziell im Weltall – weiter ausbauen, sagte er. Der russische Präsident war zusammen mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko zur Besichtigung des Weltraumbahnhofs geflogen.
Zuvor hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die westlichen Länder erneut aufgefordert, ihre Sanktionen zu verschärfen. Diese müssten Russland so hart treffen, dass “selbst das russische Gerede über den Einsatz von Massenvernichtungswaffen” verhindert werde. “Ein Öl-Embargo gegen Russland ist ein Muss.” Jedes neue Sanktionspaket, das Öl nicht einschließe, werde in Moskau “mit einem Lächeln aufgenommen”.
Neun Fluchtkorridore vereinbart
Nach Selenskyjs Worten fehlt es der Ukraine an schweren Waffen, um die von russischen Kräften zu Teilen eingenommene Hafenstadt Mariupol zu befreien. “Hätten wir Flugzeuge, genug schwere gepanzerte Fahrzeuge und die nötige Artillerie, könnten wir es schaffen”, sagte der Präsident. “Es geht nicht nur Zeit verloren, sondern auch das Leben von Ukrainern.” Dafür seien diejenigen verantwortlich, die jetzt nicht die Waffen lieferten.
Für belagerte Orte wurden nach ukrainischen Angaben neun Fluchtkorridore vereinbart. Darunter sei die eingekesselte Hafenstadt Mariupol, teilt Vize-Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk mit. Von dort könnten sich Zivilisten mit privaten Fahrzeugen in Sicherheit bringen. Fünf der neun Korridore solle es in der Region Luhansk im Osten der Ukraine geben. Von dort wird nach ukrainischen Angaben erneut heftiger Beschuss durch russische Truppen gemeldet.
Unbestätigte Vorwürfe zu angeblichem Chemiewaffen-Einsatz
Westliche Militärexperten beobachten Geländegewinne der russischen Truppen in Mariupol, wo ein Großangriff erwartet wird. Der dortige Bürgermeister Wadym Bojtschenko sagte der Nachrichtenagentur AP, während der wochenlangen Belagerung seiner Stadt seien bislang mehr als 10.000 Zivilisten getötet worden.

In Mariupol wurden nach einer Schätzung des Bürgermeisters bisher mehr als 10.000 Zivilisten getötet
Das in Mariupol kämpfende ukrainische Regiment Asow bezichtigte russische oder prorussische Kräfte, sie hätten eine unbekannte chemische Substanz über der Stadt abgeworfen. Der ehemalige Asow-Kommandeur Andrij Bilezkyj berichtete auf Telegram von drei Personen mit Vergiftungserscheinungen. Eine Bestätigung hierfür aus anderen ukrainischen Militärquellen gibt es bisher jedoch nicht.
Die britische Außenministerin Liz Truss schrieb auf Twitter, man arbeite mit Partnern daran, Details zu verifizieren. Jeder Einsatz chemischer Waffen wäre eine Eskalation, für die man den russischen Präsidenten Wladimir Putin und dessen Führung zur Verantwortung ziehen würde, so Truss.
Das US-Verteidigungsministerium erklärte, es gebe keine Bestätigung für einen Chemiewaffeneinsatz. Sollten die Berichte allerdings stimmen, wäre dies höchst beunruhigend, sagte Sprecher John Kirby. Er fügte hinzu, die Anschuldigungen passten zu der Befürchtung, Russland könnte in der Ukraine chemische Mittel zur Unterdrückung großer Menschenmengen einsetzen, etwa Tränengas, das mit anderen Chemikalien vermischt sei.
Tote bei Beschuss in Charkiw
Im nordöstlichen Charkiw sind nach ukrainischen Angaben mindestens acht Zivilisten durch russischen Artilleriebeschuss getötet worden. Viele weitere seien verletzt worden, teilte Gouverneur Oleh Synjehubow auf Telegram mit. Die Behörden warnten die Bevölkerung vor abgeworfenen Streuminen, die erst verzögert explodieren. Ob solche – nach internationalen Abkommen verbotenen – Minen tatsächlich von russischer Seite eingesetzt wurden, lässt sich derzeit nicht überprüfen.

Nach einem Angriff in Charkiw sind Feuerwehrleute im Einsatz
In den 24 Stunden zuvor hatte es im Raum Charkiw ukrainischen Angaben zufolge mindestens elf Todesopfer gegeben, darunter ein siebenjähriges Kind. Russische Truppen sollen über 60 Mal mit Artillerie, Mehrfachraketenwerfern und Mörsern angegriffen haben.