85 Prozent der Deutschen sind beunruhigt

200 Milliarden Euro zusätzliche Kredite will die Bundesregierung aufnehmen, um die ungebremst gestiegenen Preise für Heizung und Strom abzufedern. Einen “Doppel-Wumms” und einen Abwehrschirm nennt das Bundeskanzler Olaf Scholz. Doch den großen Ankündigungen sind bislang keine Taten gefolgt. Um im Bild zu bleiben: Die Regierung hält den Schirm in der Hand, kann ihn aber nicht aufspannen, weil noch nicht klar ist, wie die Preisbremse funktionieren soll.

Die Inflation macht das Leben immer teurer und Energie scheint geradezu unbezahlbar zu werden. Das verunsichert die Bürger sehr. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine sind sie ohnehin in Krisenstimmung und offenbar findet die Politik in den Augen der meisten Menschen keine richtigen Antworten auf die drängenden Fragen. Das ergibt sich aus dem ARD-Deutschlandtrend, erhoben vom Meinungsforschungsinstitut infratest-dimap im Auftrag der Tagesthemen.

Die Infografik zeigt in Prozentpunkten, wie zufrieden die Deutschen mit politischen Maßnahmen der Bundesregierung sind. 37 Prozent sind mit dem Kurs der Regierung im Ukraine-Krieg zufrieden, 57 Prozent sind nicht zufrieden. Kaum verändert zu Juli äußern sich nur drei von zehn Bundesbürgern (27 Prozent; -2) wohlwollend zu den Berliner Bemühungen, die Energieversorgung in Deutschland zu sichern. Ähnlich wie vor drei Monaten ist nur etwa jeder Fünfte (21 Prozent; -1) damit zufrieden, wie die Bürger angesichts der hohen Energiepreise ent- lastet werden. Ebenfalls nur jeden Fünften (21 Prozent) überzeugen die bisherigen Anstrengungen zur Entlastung der deutschen Wirtschaft.

Frage: Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit der Bundesregierung in den folgenden Bereichen? Wie ist es mit …?

Derzeit haben nur elf Prozent der Bürger Anlass, zuversichtlich in die Zukunft zu sehen. 85 Prozent sind beunruhigt. Im Deutschlandtrend ist das ein historischer Tiefstand. Parallel dazu ist die Zufriedenheit mit der Bundesregierung weiter gesunken. Nur noch 29 Prozent der Befragten sind mit der Arbeit der Koalition aus SPD, Grünen und FDP zufrieden. Das schlägt sich auch in den Umfragewerten nieder. Wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre, hätte die Ampel-Regierung keine Mehrheit mehr.

Die Grafik zeigt in Prozentpunkten die Umfragewerte der Parteien. CDU/CSU könnten mit 28 Prozent rechnen, ein Punkt mehr als im Vormonat. An zweiter Stelle liegen weiterhin die Grünen, die statt 22 Prozent wie im September aber nur noch 19 Prozent in Aussicht hätten. Die SPD könnte unverändert mit 17 Prozent rechnen. Die AfD würde 15 Prozent erzielen, ein Plus von zwei Punkten und der höchste Wert seit Dezember 2019. Die FDP verschlechtert sich auf sieben Prozent (-1), die Linke liegt unverändert bei fünf Prozent. Alle übrigen Parteien kämen zusammen auf neun Prozent.

Frage: Welche Partei würden Sie wählen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagwahl wäre?

Waren 2021 trotz der Corona-Pandemie noch 59 Prozent der Bürger mit der wirtschaftlichen Lage zufrieden, sind es aktuell noch 20 Prozent. Ähnlich kritisch fiel das wirtschaftliche Urteil der Bundesbürger letztmalig im zeitlichen Umfeld der Finanzkrise 2009 aus. 53 Prozent der Wahlberechtigten rechnen damit, dass sich die ökonomische Situation binnen Jahresfrist noch weiter verschlechtert. Lediglich zwölf Prozent der Befragten glauben an eine Besserung.

Fast jeder fünfte Deutsche fürchtet aktuell um seinen Arbeitsplatz. Bei Personen mit geringerem Haushaltseinkommen sind es mit 42 Prozent der Befragten deutlich mehr. Mehr als die Hälfte der Bundesbürger ist in Sorge, dass sie angesichts stark steigender Preise ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen könnten.

Die Grafik zeigt, wie die jeweiligen Parteianhänger die Frage beantworten, ob sie sich sehr große / große Sorgen oder wenig / gar keine Sorgen machen, dass sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Angaben in Prozentpunkten: AfD 83/15, Linke 72/28, SPD 52/48, FDP 48/52, CDU/CSU 45/55, Grüne 38/62

Frage: Machen Sie sich sehr große Sorgen, große Sorgen, wenig Sorgen oder gar keine Sorgen, dass Sie wegen der steigenden Preise Ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können?

Der Kriegsverlauf in der Ukraine sorgt ebenfalls für Verunsicherung in der Bevölkerung. 56 Prozent der Befragten fürchten, die Bundesrepublik könnte direkt in den Krieg hineingezogen werden. Eine Sorge, die am stärksten in den Reihen von Anhängern der AfD (68 Prozent) und der Linken (71 Prozent) ausgeprägt ist, die aber auch etwa jeden zweiten Unions-(56 Prozent) und SPD-Wähler (51 Prozent) umtreibt.

Gut sieben Monate dauert der Krieg nun an. Die Bundesregierung unterstützt die Ukraine militärisch, ist bei der Lieferung schwerer Waffen nach wie vor aber zurückhaltend. 47 Prozent der Befragten und damit vier Prozent mehr als im Juni finden das richtig, um Russland nicht zu provozieren. 43 Prozent (-7) fordern dagegen von der Bundesregierung eine größere Entschlossenheit und Härte gegenüber Russland. Im Sommer waren es noch 50 Prozent.

Die Grafik zeigt, wie die jeweiligen Parteianhänger die Frage nach zurückhaltender oder entschlossener Haltung Deutschlands bei der militärischen Unterstützung der Ukraine beantworten. Angaben in Prozentpunkten: Linke 73/20, AfD 72/20, FDP 60/39, CDU/CSU 44/51, SPD 36/50, Grüne 22/72

Frage: Zu welcher der beiden folgenden Positionen neigen Sie eher, wenn es um die militärische Unterstützung der Ukraine geht?

Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Menschen, die in den westlichen beziehungsweise östlichen Bundesländern leben. Im Westen sprechen sich 47 Prozent für ein entschlossenes Agieren aus, 44 Prozent sind für Zurückhaltung. Im Osten wünschen sich 60 Prozent Zurückhaltung, 31 Prozent sind für ein entschlossenes Agieren.

Keineswegs einiger sind sich die Deutschen auch in ihrer Haltung zu den Sanktionen gegen Russland geworden. Nach 34 Prozent im August betrachten derzeit 31 Prozent den Stand der Sanktionen als angemessen. 36 Prozent (-1) fordern dagegen weitergehende Schritte. Gestiegen ist die Zahl derjenigen, die die Sanktionen als zu weitgehend ablehnen von 21 Prozent im August auf nunmehr 24 Prozent (+3).

Die Grafik zeigt im Zeitverlauf seit April 2022 die Einschätzung zu den Sanktionen gegen Russland. Nur die aktuellen Werte sind in Prozentpunkten ausgewiesen, die bisherigen Ergebnisse sind als Verlauf dargestellt. 31 Prozent betrachten den jetzigen Stand als angemessen. 36 Prozent fordern dagegen weitergehende Schritte, während jeder Vierte die bestehenden Sanktionen bereits als zu weitgehend ablehnt.

Frage: Russland ist Ende Februar in die Ukraine einmarschiert. Deutschland hat hierauf mit verschiedenen Schritten reagiert, darunter mit Sanktionen. Wie sehen Sie das? Sind die Sanktions-Maßnahmen gegen Russland angemessen? Gehen Sie zu weit? Oder nicht weit genug?

Der russische Präsident Wladimir Putin hat eine Teilmobilisierung verkündet und will bis zu 300.000 Reservisten zusätzlich an die Front schicken. Im Land geht allerdings die Angst um, dass es dabei nicht bleiben wird. Um der Einberufung zu entgehen, versuchen tausende Russen im wehrfähigen Alter, ihr Land zu verlassen. Im ARD-Deutschlandtrend wurde gefragt, ob sie in der Bundesrepublik Aufnahme finden sollten. 54 Prozent der Bürger sind dafür, 35 Prozent dagegen.

Die Grafik zeigt, wie die jeweiligen Parteianhänger die Frage beantwortet haben. Angaben in Prozentpunkten dafür / dagegen: Grüne 79/18, SPD 64/26, Linke 57/37, CDU/CSU 55/37, FDP 47/42, AfD 35/57

Frage: Sollte Deutschland grundsätzlich russische Kriegsdienstverweigerer aufnehmen oder nicht?

Angesichts der Krisenstimmung in Deutschland haben die Meinungsforscher diesmal auch die Einstellung der Bürger zum politischen System abgefragt. Grundsätzlich haben die Menschen ein hohes Vertrauen in die Demokratie. Eine Mehrheit der Westdeutschen und 75 Prozent der ostdeutschen Wahlberechtigten schätzen sie als gute Regierungsform.

Aktuell sind aber nur 51 Prozent der Bürger im Westen und 35 Prozent der Bürger im Osten damit zufrieden, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert. 2020 waren noch zwei Drittel der Bundesbürger zufrieden. Aktuelle Gefahren sehen die Deutschen vor allem von innen. Jeder Fünfte nennt an erster Stelle Rechtsextremismus und Rechtspopulismus. Etwa jeder Zehnte verweist auf soziale Ungleichheit im Land, ebenso viele auf die Abgehobenheit des politischen Betriebs und dortige Fehlentscheidungen.