Es war ein leiser Protest. Rund 160 Ukrainer und deren Unterstützer hatten sich am Mittwochabend vor der Philharmonie in Essen versammelt, um ihren Unmut, ihre Wut, aber auch ihre Verzweiflung über das Internationale Olympische Komitee (IOC) in Stille zu zeigen. “Terrorist Putin” war auf den Plakaten zu lesen, die sie hochhielten. Oder auch: “Russland und Belarus nicht bei Olympia zulassen”. Der Grund für diese Demonstration war der Besuch von IOC-Chef Thomas Bach, der beim “Politischen Forum Ruhr” eingeladen war, um als Redner seine Sicht der (sport-) politischen Lage zu beschreiben. Die Ukrainer forderten derweil, anders als es das IOC derzeit offenbar plant, dass Russen und Belarussen nicht unter neutraler Flagge an den Olympischen Spielen in Paris 2024 teilnehmen dürfen.
Und auch anders als häufig üblich hatte sich Bach im Vorfeld der abendlichen Veranstaltung mit zwei Vertretern der Demonstrierenden außerhalb der öffentlichen Aufmerksamkeit in der Philharmonie zu einem persönlichen Gespräch getroffen. Der Ukrainer und ehemalige Fußballprofi Igor Denysiuk, der den ukrainisch-deutschen Verein Opora vertrat, wirkte nach diesem zehnminütigen Gespräch allerdings frustriert. Nachdem sie die Sichtweise der Demonstrierenden geschildert hätten, habe Bach geantwortet, dass “das IOC nichts gegen eine Teilnahme machen könne, außer die Vereinten Nationen UN würden sich dagegen aussprechen”.
Bach sieht ein natürliches Spannungsverhältnis
Kann der Sport unpolitisch sein? – diese schon oft gestellte Frage war das zentrale Thema des Abends. Die demonstrierenden Ukrainer hatten dazu eine klare Meinung. “Wir möchten, dass das IOC aufhört, den Krieg zu propagieren und zu tolerieren. Das tut es unserer Meinung nach, wenn es die russischen und belarussischen Sportler unter neutraler Flagge antreten lässt. Die russische Politik nutzt das für ihre Propaganda aus”, sagte die 23 Jahre alte Ukrainierin Yana Koval der DW.
Sport und Politik: Präsident Bach sieht das IOC auf dem richtigen Weg in Sachen Russland und Belarus
IOC-Chef Bach schilderte dann vor dem Auditorium seine Sicht der Dinge. “Die Welt wird von der Politik regiert, nicht von Sportorganisationen. Da gibt es ein natürliches Spannungsverhältnis”, sagte Bach. Aber der Sport stehe für Freude, Integration und Toleranz und könne mit seiner Neutralität eine verbindende Rolle spielen. “Die Werte und die einigende Kraft des Sports können wir nur entfalten, wenn die Politik in diesem Spannungsfeld diese Werte respektiert.” Gerade die Boykotte der Olympischen Spiele – etwa im Jahre 1976 in Montreal, der Bach als teilnehmender Fechter besonders geprägt habe – hätten laut dem IOC-Präsidenten gezeigt, dass wenn die Politik die Oberhand behält, der Sport nicht mehr seine einigende Kraft entfalten könne. Daraus folgerte Bach: “Wir müssen politisch neutral sein, aber nicht apolitisch. Und wir dürfen nicht in den Fehler verfallen, uns als Schiedsrichter zu erheben.”
IOC will wohl Präzedenzfall verhindern
Bach sah das Wirken des IOC in keiner Weise als Unterstützung des politischen Vorgehens Russlands und Belarus. Sein Credo war vielmehr: “Der Sport muss ein Eisbrecher sein”. Bach merkte weiterhin an, welche Überforderung dem Sport seiner Auffassung nach häufig aufgebürdet würde. “Wir können nicht alle Probleme dieser Welt mit Sport lösen. Das darf man dem Sport nicht antun und man darf ihn damit nicht überfrachten.” Deshalb sei eine klare Abgrenzung zur Politik vonnöten. “Ein Wettkampf unter Athleten kann beispielgebend sein, er kann inspirieren. Aber nicht mehr”, sagte Bach. Für den Rest sei die Politik zuständig.
“Wir verstehen die ukrainischen Athleten, von den Bildern und dem Leid kann sich niemand lösen”, sagte Bach. Die ukrainische Regierung fordere allerdings, alle Russen und Belarussen zu isolieren. Diese Forderung habe es bisher auch noch nie aus anderen an Kriegen beteiligten Ländern und von weltweiten Krisenherden gegeben. Die Olympische Charta und die UN-Menschenrechtserklärung verbiete dies zudem – und “das bringt uns in ein Dilemma. Schaffen wir einen Präzendenzfall, wird es den olympischen Sport zerstören”, sagte Bach. “Wir sprechen über internationale Wettbewerbe, die dann zum politischen Spielball werden können.”
Von der Komplexität dieser Entscheidungsfindung zu den Olympischen Spielen, die sich laut Bach noch länger hinziehen werde, schien der IOC-Präsident großen Respekt zu haben. “Das zu entscheiden ist keine beneidenswerte Aufgabe”, so Bach. Darüber werde erst die Geschichte urteilen. Für die internationalen Wettbewerbe, die ja häufig zur Olympia-Qualifikation der jeweiligen Sportler dienen, sollen bereits Mitte der kommenden Woche Leitlinien seitens des IOC gezogen werden. Bach sieht die Aufgabe des IOC aber vor allem darin, Friedens-stiftend und kommunikativ zu sein und zu bleiben und nicht isolierend zu agieren – so seine Argumentationslinie. Das allerdings sahen die Demonstrierenden vor den Türen der Essener Philharmonie ganz anders.